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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn
Autoren: Anna Seghers
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Zimmer zurück. Der Lehrer fagte ihre beiden Hände. Luise sah ihn ruhig an. Der Lehrer mußte schließlich einmal ihre Hände loslassen. Erwußte nicht recht, wo und wie er das große, unbewegliche Mädchen in ihrem starren Brautzeug anfassen sollte. Er geriet plötzlich in Wut, packte ihren Arm und schüttelte sie ein wenig. Sie sah ihn immer noch ruhig an, ohne daß sich ihr schönes Gesicht veränderte. Sie wandte sich dann schließlich von ihm ab, zog vorsichtig ihren Schleier aus, legte ihn zusammen und hängte ihn über die Stuhllehne. Der Lehrer zog seinen Kragen aus; dann zog er seinen Rock aus und hängte ihn über einen Haken.
    Der junge Merz führte seine Frau in das plötzlich stillgewordene Haus die Treppe hinauf in das frühere Zimmer seiner Schwester, das jetzt das ihre war. Beide dachten, nichts als ein Wunder könnte sie jetzt noch trennen. Ohne sich nach dem Mann umzudrehen, ohne ihre Schleier zusammenzufassen, die hier und dort hängenblieben, lief das Mädchen ans Fenster. Sie war nicht der Familie davon in die Stadt gelaufen, sie hatte sich nicht in den Fluß gestürzt, so müßte sie jetzt über den braunen und bunten Garten davonfliegen, über den Wald, hinter dem die Sonne unterging. Der Mann rief sie mit ihrem Namen. Ohne sich von der Stelle zu bewegen, drehte sie ihm ihr Gesicht zu. Ein schwaches, blaßglänzendes Gold lag über dem Himmel, über den glatten Hügeln der Federbetten, über dem Brautkleid des Mädchens und ihren Schleiern, über ihrer Stirn und ihren Händen. Zum letztenmal in ihrem gemeinsamen Leben starrte der junge Merz das Mädchen an mit einem Ausdruck von Torheit und Qual. Einen Augenblick erglänzte in diesem fremden Licht das schwächliche Gesicht des Mädchens in einer den Verstand zur Verzweiflung bringenden, unbesitzbaren Schönheit. Als ob sie wüßte, daß sie jetzt vollkommen sicher sei, lag um ihren Mund ein ruhiges Lächeln.
    Dann erlosch das Abendlicht, die Dunkelheit brach an. Hart und weiß glänzte das Bettzeug, all das Weißzeug,das der Brautvater im heiligen Jahre dreiundzwanzig für diesen Tag gekauft hatte. Der junge Merz lachte und streckte die Hände aus.
    Der alte Merz hinter der Tür hörte, sein Lachen verschluckend, die schwache, dreifach zerbrechende Stimme des Mädchens: »Nit! Nit! Nit!« und die leisen glücklichen Flüche seines Sohnes.
VIII
    Viele liefen hinter den Gendarmen her, die Johann mehr schleiften als führten, liefen dann vor ihm her und bildeten noch einmal flink am Ausgang des Dorfes drohend und schreiend eine Gasse, durch die die drei abzogen. Die Gendarmen faßten Johann unter den Achseln und forderten ihn barsch auf, zuzutreten: »Schlapps, verflixter, tritt!« Johann kam etwas zu sich, statt eines einzigen brennenden Körpers unterschied er vier oder fünf verschiedene scharfe Schmerzen, im Leib, im Rücken und vor der Brust. Er bohrte mit der Zunge im Mund herum und spuckte einen Zahn aus. Einer der Gendarmen lachte. »Ist bitter, das Bonbon?« Der andere, ein älterer, verkniffener Mann, sagte mürrisch: »Weiter! Weiter!« Er fuhr die Kinder an, die hinter ihm herliefen. Die Kinder blieben stehen, sahen sich noch einmal an Johanns Rücken satt und trotteten dann heim. Johann versuchte, seine verklebten Augen aufzubringen. Er unterschied den Waldrand, der sich in einem festen schwarzen Bogen über dem Dorf her bis zum Fluß spannte. Die Erde war gelb, und auch der Himmel über dem Wald fing an zu vergilben. In das Sausen seiner Ohren mischte sich die tropfenweise glickernde Musik des Karussells, das man hinter ihm auf der Schafswiese wieder ankurbelte.
    Sie liefen jetzt unterhalb der äußersten Felder vorbei, die zu Oberweilerbach gehörten. Ein Bauer kam einStück auf die Straße hinunter, um zu sehen, warum zwei Gendarmen mit einem Mann zwischen sich nach der Stadt gingen. Algeier hatte angefangene Rüben auszumachen. Er erkannte Johann, er verstand alles und erschrak. Sein fahriger Bart zuckte, seine Kinnladen fingen heftig zu mahlen an. Er stieg bis an den Straßenrand hinunter, die Hacke in der Hand. Er ließ die Hacke fallen und zog hastig den Hut ab, als ob man einen Toten oder einen Täufling an ihm vorbeitrug.

Nachwort
    Seit Mitte der zwanziger Jahre veröffentlichte Anna Seghers Erzählungen von gescheiterten Ausbrüchen aus elenden, menschenunwürdigen Verhältnissen. 1932 erschien ihr erster Roman Die Gefährten , eine Märtyrerchronik über die Schicksale von Kommunisten in verschiedenen Ländern, in denen
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