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Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben
Autoren: Philipp Espen
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Gerippe einer verendeten Ratte auf das Versteck. Unten angekommen bekreuzigten sich Henri und Sean vor dem Altar, Joshua verneigte sich und murmelte etwas. Dann verließen sie gemeinsam die Kapelle.
    Sie holten ihre Pferde und stellten sich noch einmal in einem kleinen Kreis zusammen. Als sie sich die Hände auf die Schultern legten, erneuerten sie ihren Bund fürs Leben. Seit dem Attentat auf Philipp den Schönen am Königshof von Fontainebleau taten sie es zum ersten Mal wieder.
    »Lang sterbe der König!«, sagte Henri.
    »Und bald komme seine Beerdigung in der Abteikirche von St. Denis«, fügte Joshua hinzu.
    »Beim nächsten Mal gelingt es uns!«
    »Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
    Sean wollte etwas sagen, verschluckte es aber.
    Joshua und Sean ritten gemeinsam nach Süden weiter, wo Sean in einer ehemaligen Komturei Lektionen erhalten sollte. Henri machte sich nach Osten auf den Weg. Sie sahen sich nicht mehr um. Wichtig war nicht, was hinter ihnen, sondern was vor ihnen lag. Und je weniger sie von ihren unmittelbaren Absichten wussten, desto weniger konnten sie unter der Folter verraten.
    Ihre Gestalten waren auf den Höhen der in dieser Gegend abgeholzten Hügel noch lange zu sehen. Aber bevor die Schatten des Nachmittags länger wurden, hatten sich die Gefährten aus den Augen verloren.
    Henri de Roslin war es willkommen, allein zu sein. Sein ernstes Gemüt neigte ohnehin nicht zur oberflächlichen Unterhaltung, wenn ihn auch der schwärmerische Gesang des Knappen oder sein Spiel auf Schwögel, seiner Flöte, seine Guinivevre hatte sie ihm geschenkt, schon oft angenehm angerührt hatte. Und Joshua wusste so viel vom Leben und dem Universum, welches sich über die Erdenscheibe spannte, und er konnte so anregend davon erzählen, dass Henri seine Gesellschaft über alles schätzte.
    Aber jetzt sollte es still um ihn sein. Er brauchte alle seine Gedanken für sich allein. Denn er musste einen weiteren Attentatsplan schmieden. Und dieser durfte nicht scheitern.
    Wieder kam er durch dicht bewachsene, urwaldähnliche Gebiete, und der Weg war noch schmaler als ein Ochsenkarren. Unter den mächtigen Korkeichen und Olivenbäumen blühten und dufteten Thymianstauden und Rosmarinsträucher des aufbrechenden Frühlings. Die Natur und das Leben können schön und leicht sein, dachte Henri. Wenn nur der Mensch nicht wäre.
    Die erste und die kommende Nacht verbrachte er im Freien, den Pferdesattel unter seinem Kopf. In der dritten Nacht wagte er es, eine Unterkunft zu suchen. Er fand eine abseits des Weges gelegene Priorei und genoss das karge Gemeinschaftsmahl mit den Gebetsbrüdern.
    In der vierten Nacht fand er einen Schlafplatz im Portal einer Gemeindekirche, in der schon ein Kaufmann mit seinen beiden Knechten lag. Auch die Pferde hatten in dem schlichten, aber sauberen Vorraum Platz. Der Kaufmann aus Nimes war am Vorabend überfallen worden und warnte Henri vor provencalischen Räubern, die die Wege unsicher machten.
    Henri hatte keine Angst um seinen Schatz. Er trug ihn in flachen Beuteln am Körper, das Metall hüllte ihn anstelle des Kettenhemdes, das er früher getragen hatte, wie eine Rüstung ein und verlieh ihm das Gefühl, in einen Kampf besonderer Art zu ziehen.
    Am fünften Tag kam er durch eine heideartige Landschaft. In der Ferne türmten sich die Felsen eines Gebirgszuges auf, der Causses de Limoges hieß. Henris Aufmerksamkeit hatte durch den eintönigen Ritt nachgelassen, die Sonne brannte an diesem Frühlingstag beinahe sommerlich heiß vom wolkenlosen Himmel herunter, und der Staub der Straße schmerzte in seinen Augen. Er bemerkte die Rauchwolken nicht, die voraus aus einer unübersichtlichen, mit hohen Schlehenbüschen bestandenen Senke aufstiegen. Als er auf die flache, sandige Anhöhe hinaufritt, die sich in Richtung der Rauchwolken erstreckte, brachen hinter ihm plötzlich aus dem Unterholz mehrere waffenschwingende Gesellen zu Pferde hervor.
    Henri riss, unsanft aufgeschreckt, sein kurzes Schwert aus dem Gürtel und streckte es in Richtung der Herankommenden. Er sagte laut mit seiner durchdringenden Baritonstimme: »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?«
    Die Männer zügelten ihre wild schnaubenden Pferde dicht vor ihm. Sie trugen farbige Waffenröcke, die aber zerschlissen und schmutzig waren, die Wappen waren nicht zu erkennen. Ein Anführer mit einer wilden Mähne unter dem Lederhelm führte sein tänzelndes Reittier nahe heran. Henri bemerkte schaudernd, dass seine Nasenspitze abgeschnitten und die
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