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Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben
Autoren: Philipp Espen
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linken Rockseite trug. Und der Knappe verstaute seine Querflöte.
    Sie gingen in eine Kammer des Obergeschosses, in der früher der Schrank mit den Hostien und geweihten Geräten gestanden hatte. Die vier Bohlenbretter waren schnell gelockert. Darunter kam ein Hohlraum zum Vorschein, in dem vier eingewickelte längliche Kisten lagen. Sie lösten das graue Leinentuch, öffneten den Eisendeckel und starrten auf die Schätze.
    »Mensch! Münzen! Gold! Silber!« Der Knappe wollte ungestüm zugreifen. Aber Henri hinderte ihn mit einer ruhigen Handbewegung daran.
    »Warte! Es ist Mammon, nicht wert, den Verstand zu verlieren. Man kann es anschauen und für nützliche Dinge verwenden – das ist alles. Beherrsche dich.«
    Sean war rot geworden. »Ich dachte nur, davon könnte ich meiner Guinivevre, die in Beaumont sehnsüchtig auf mich wartet, hundert hübsche Tücher mit Stickereien kaufen…«
    »Es ist nicht ausgeschlossen«, erwiderte Henri, innerlich belustigt, »dass du auf irgendeinem Markt solche Tücher für dein Mädchen erstehen wirst. Aber nicht jetzt. Und nicht von diesem Geld. Es ist für andere Zwecke bestimmt.«
    »Hier liegt es unberührt«, sagte Joshua heiter, »und der König sucht es mit seinen Hundertschaften immer noch verzweifelt auf Gisors.«
    »Dort kann er suchen, bis ihm die Augen herausfallen. Auch in den benachbarten Tempeln von La Roche-Guyon und Château-Gaillard wird er nichts finden. Ich habe unseren Schatz schon vor Jahren von dort weggeschafft und über Verstecke im ganzen Land verteilt. Denn ich konnte mir ausrechnen, dass unsere Templerburg in das Visier Philipps und seiner Schergen fällt. Sie brauchen so dringend Geld für ihre Intrigen und Scharmützel gegen Fürsten und Fürstbischöfe, dass sie dumm werden.«
    Sie zogen alle Kisten heraus. Sie waren sämtlich prall gefüllt mit Goldmünzen, aber auch mit silbernen Medaillons und schmalen Barren.
    »Woher kommt das viele Geld?«, wollte Sean wissen.
    »Das brauchst du nicht zu wissen. Achte nur darauf, dass du bei seinem Anblick nicht gierig wirst.«
    »Kann ich es nicht trotzdem erfahren? Es hilft mir, es mit Abstand zu betrachten.«
    Henri sah seinen Knappen an, dessen Blicke ohne Arg waren. »Nun. So viel kannst du immerhin wissen. Es stammt aus unserem Tempel in Paris, dort betrieben wir ein öffentliches Bankhaus.«
    »Und das wirft so viel ab? Alle diese Schätze? Dann möchte ich auch ein Bankhaus eröffnen!«
    »Sean of Ardchatten!«
    »Verzeih, Joshua ben Shimon.«
    Henri erklärte geduldig: »Viele Menschen überließen uns vertrauensvoll ihre Reichtümer, und nicht von ungefähr, denn wir arbeiteten korrekt. Es war alles legal, wir hatten sogar geregelte Kassenzeiten, die überall aushingen. Wir führten sechzig Privatkonten, die Mitgliedern des Hochadels, Kirchenfürsten, auch Würdenträgern unseres Ordens gehörten. Selbst der königliche Schatz lag dort.«
    »Gab es solche Bankgeschäfte auch in anderen Stützpunkten deines Ordens, Meister Henri?«, staunte Sean. Da der alles entscheidende Tag näher rückte, war Henris Umgang mit Sean förmlicher geworden, dem Verhältnis von Meister und Lehrling angemessen. Dieses Mal bestand er auf Disziplin, wollte keine unnötigen Risiken mehr eingehen.
    »Natürlich. In allen Komtureien. Wir benötigten ja Unsummen für die Befreiung des Heiligen Landes von den Ungläubigen. Und dafür war uns jede Münze willkommen.«
    »Ich habe gehört, dass damals, als der König von Jerusalem – hieß er nicht Balduin? – euch Templern eine Unterkunft in der Nähe der Ruinen des salomonischen Tempels zur Verfügung stellte, ihr gewaltige Schätze entdecktet, unter anderem die Bundeslade der Israeliten?«
    »Unsinn!« Joshua sah den Jungen scharf an.
    »Ich war damals beim ersten Kreuzzug nicht dabei, mein Junge«, sagte Henri milde.
    »Und woher weißt du das alles, worüber du sprichst, Meister?«
    Henri sagte: »Ich war nach dem Ende der Kreuzzüge für den Geldhandel des Ordens zuständig.«
    »Für alles Geld des gesamten Ordens?!«
    »Ja. Ich verwaltete die Konten, stellte die Wechsel aus und bestimmte die Ausgaben für den Schutz der Pilgerstraßen vor Räubern und Plünderern, die es überall gab.«
    Bewundernd blickte ihn Sean an. Joshua bemerkte diesen Blick des ihm anvertrauten Knappen und wurde plötzlich streitlustig. »Die Templer waren die einzigen Christen, die bisher jemals Geld gegen Zinsen verliehen haben, Junge. Ihre Zinsen waren niedriger als die der
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