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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen
Autoren: John Hart
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wäre sie lieber allein geblieben? Auch hier hatte ich mein Bestes getan. Ich hatte getan, was sie wahrscheinlich gewollt hätte. Klaglos hatte sie an seiner Seite gelebt, und so sollte es auch im Tode sein. Doch im Grunde meines Herzens war ich zornig und wusste, dass ich mich immer fragen würde, ob es eine weise Entscheidung gewesen war. Aber was ich Barbara gesagt hatte, stimmte. Das Leben war manchmal verfahren, und der Tod, so schien es, war keine Ausnahme.
    Als ich von ferne einen Motor hörte, achtete ich nicht darauf. Wahrscheinlich war das falsch, denn als Vanessa neben mir erschien, hätte ich sonst ein Lächeln bereit gehabt, um sie zu begrüßen. Doch alles, was ich sah, waren frisch aufgehäufte Erde und die harten Konturen des Namens meiner Mutter auf ihrem Grabstein, bis Vanessa mich ansprach und meine Schulter berührte. Ich drehte mich zu ihr um, und sie nahm meine Hand. Ich sagte ihren Namen, und sie nahm mich ganz. Ihre Arme waren schlank und stark, und sie roch wie der Fluss. Ich lehnte mich an sie, und ihre Hand schob sich um meinen Nacken. Als ich mich von ihr löste, tat ich es aus einem bestimmten Grund. Ich wollte ihre Augen sehen, wollte sehen, ob ich Grund zur Hoffnung hatte. Und ich hatte ihn, denn auch dort war Klarheit, und ich wusste, bevor ich etwas sagte, dass alles gut werden würde.
    Aber die Worte mussten ausgesprochen werden, nur nicht hier im Schatten von Ezras Grabhügel. Also nahm ich ihre harte Farmerhand und führte Vanessa langsam hinauf zu dem schattigen Platz, den ich gefunden hatte. Als Erstes sagte ich ihr, dass ich sie liebe, und sie schaute weg, hinunter zu den Reihen der gemeißelten Steine. Als sie mich wieder ansah, wollte sie etwas sagen, aber ich legte ihr den Finger an die Lippen. Ich dachte an den Tag, als wir uns kennengelernt hatten, den Tag, an dem wir für Jimmy gesprungen waren. Da hatte es angefangen, da hatte alles angefangen, und beinahe wäre unsere Zukunft da zu Ende gewesen. Wenn wir eine Chance miteinander haben sollten, musste sie etwas über diesen Tag hören, und ich musste es ihr erzählen. Also sagte ich, was ich zu sagen hatte, und wahrere Worte wurden nie gesprochen.

EPILOG
    V iele Monate sind vergangen, und der Schmerz hat nachgelassen und ist nur noch ein gelegentliches Pochen. Ich schlafe immer noch nicht gut, aber das macht nichts; meine Gedanken sind nicht unangenehm. Vanessas Brief liegt in meiner Nachttischschublade, und manchmal lese ich ihn, meistens nachts. Er erinnert mich daran, wie knapp ich davongekommen bin, und dass das Leben nicht selbstverständlich ist. Das lässt mich ehrlich bleiben und erhält mir das, was ich »diese kostbare Klarheit« nenne.
    Es ist kurz nach fünf; obwohl meine Tage jetzt früh beginnen, habe ich keine Eile, und mein Traum ist noch frisch. Ich schwinge die Füße aus dem Bett auf den kühlen Boden und gehe aus dem Zimmer. Der Mond scheint in die Diele, und ich folge seinem Licht zum Fenster. Ich schaue hinunter auf die stillen Felder, dann nach rechts zum Fluss. Er schlängelt sich in die Ferne, ein silbriges Band, und ich denke an Strömungen und an die Zeit, an Dinge, die fortgeschwemmt wurden.
    Das Gericht entschied, dass das Bargeld und der Schmuck aus dem Safe meines Vaters Teil seiner Hinterlassenschaft seien und somit der Stiftung gehörten. Aber die Häuser konnte ich schnell verkaufen, zu einem besseren Preis, als ich erhofft hatte. Am Ende schickte ich Jean mehr als achthunderttausend Dollar, die sie zum Kauf einer Hütte am waldigen Ufer des Lake Champlain verwendete. Ich habe sie noch nicht besucht. Es ist zu früh, hat Jean gesagt, und die Welt gehört noch ganz ihnen. Aber wir haben von Weihnachten geredet.
    Vielleicht.
    Was meinen Teil des Geldes angeht, den habe ich so gut angelegt, wie ich konnte. Ich habe das alte Farmhaus renovieren lassen, einen ordentlichen Traktor gekauft und die benachbarten achtzig Hektar Land erworben. Es ist gutes Land, mit fettem Boden und einem munteren Bach. Außerdem habe ich ein Auge auf die dreißig Hektar geworfen, die im Süden an die Farm grenzen, aber die Eigentümer kennen meine Ambitionen und fordern immer noch einen zu hohen Preis. Ich bin geduldig.
    Ich höre die Tür hinter mir und muss unwillkürlich lächeln. Sie wacht immer nur auf, wenn ich zu diesem Fenster gehe. Es ist, als wüsste sie, dass ich hier bin, dann steht sie auf und kommt zu mir, und wir schauen gemeinsam auf den Garten hinunter, den wir angelegt haben. Ihre Arme schlingen
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