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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen
Autoren: John Hart
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Geschichte. Er kam ein paarmal vorbei, und wir unterhielten uns über Kleinigkeiten. Er erzählte mir Geschichten von meiner Mutter und von Dingen, die ich als Kind getan hatte. Er tat mir gut, und nach jeder Unterhaltung fühlte ich mich ein bisschen kräftiger. Bei seinem letzten Besuch streckte ich ihm die Hand entgegen und sagte, er habe einen Freund fürs Leben. Lächelnd antwortete er, daran habe er nie gezweifelt, und bestand darauf, dass der nächste Drink auf seine Rechnung gehe. Dann schüttelte er mir mit sanftem Ernst die Hand, und als er aus dem Zimmer ging, schien ein Licht auf ihm zu liegen.
    Jean und Alex kamen einen Tag vor meiner Entlassung. Sie hatten gepackt und waren reisefertig.
    »Wohin?« , fragte ich.
    »In den Norden. Nach Vermont vielleicht.«
    Ich sah Alex an, und sie erwiderte meinen Blick mit der gleichen unnachgiebigen Kraft wie immer. Doch diesmal tat sie es ohne Feindseligkeit, und ich wusste, dass Jean mir nichts vorgemacht hatte. Zum rechten Zeitpunkt würde ich willkommen sein.
    »Geben Sie Acht auf sie«, sagte ich.
    Sie streckte die Hand aus, und ich schüttelte sie. »Das werde ich immer tun.«
    Ich sah Jean an. »Schick mir eure Adresse«, bat ich. »Ich werde ein bisschen Geld für dich haben, wenn ich das Haus und das Bürogebäude verkauft habe.«
    »Bitte überleg's dir noch mal. Wir wollen nichts davon haben.«
    »Aber es wird nicht von ihm sein. Es ist von mir.«
    »Bist du sicher?«
    »Ich will, dass du es bekommst«, sagte ich. »Verwende es gut. Bau dir ein Leben auf.«
    »Es ist eine Menge Geld.«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich schulde dir mehr als Geld, Jean. Es ist das Wenigste, was ich tun kann.«
    Jean schaute mich an, schaute mir so tief in die Augen, dass ich die Leere in meinem Innern nicht verbergen konnte, den Widerhall des absoluten Alleinseins. Und auch nicht das Schuldbewusstsein, das jedes Mal in mir aufstieg, wenn ich sie sah. Schließlich musste ich mich abwenden.
    Ich hörte ihre Stimme, und darin lag etwas Neues. Kraft vielleicht? Eine eigene Klarheit? »Lässt du uns noch einen Augenblick allein, Alex?«
    »Na klar«, sagte Alex. »Machen Sie's gut, Work.« Und dann waren wir allein im Krankenzimmer. Jean zog einen Stuhl heran und setzte sich zu mir.
    »Du schuldest mir nichts«, sagte sie.
    »Doch.«
    »Wofür?«
    Es erstaunte mich, dass sie diese Frage stellen konnte. »Für alles, Jean. Weil ich dich nicht besser beschützt habe. Weil ich kein besserer Bruder bin.« Meine Worte fielen in den schmalen Raum zwischen uns. Meine Hände zuckten unter der dünnen Decke, und ich versuchte es noch einmal, weil ich wollte, dass sie mich verstand. »Weil ich kein Vertrauen in dich hatte. Weil ich zugelassen habe, dass Ezra dich so behandelte.«
    Da lachte sie, und der Klang tat mir weh, denn meine Worte hatten mich etwas gekostet. »Ist das dein Ernst?«, fragte sie. »Das ist mein Ernst.«
    Das Lächeln glitt von ihrem Gesicht. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete mich mit sehr feuchten Augen. Aber sie war nicht am Rand der Tränen, im Gegenteil. »Ich möchte dir eine Frage stellen«, sagte sie.
    »Okay.«
    »Und ich möchte, dass du nachdenkst, bevor du antwortest.«
    »Ja.«
    »Warum, glaubst du, hat er dich in die Kanzlei geholt?. »Was?«
    »Warum hat er dich ermuntert, Jura zu studieren? Warum hat er dir einen Job gegeben?«
    Ich tat, was sie verlangt hatte. Ich dachte nach, bevor ich antwortete. »Ich weiß es nicht«, sagte ich schließlich. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
    »Okay, dann noch eine Frage. Gab es eine Zeit, in der deine Beziehung zu ihm sich veränderte? Ich rede jetzt von einer weit zurückliegenden Zeit.«
    »Du meinst, wie die Kindheit?«
    »Ich meine die Kindheit.«
    »Wir standen uns nah.«
    »Und wann hörte das auf?«
    »Das weiß ich nicht, okay? Ich weiß es nicht.«
    »Mein Gott, Work, manchmal kannst du wirklich begriffsstutzig sein. Es änderte sich über Nacht. Es änderte sich an dem Tag, als wir für Jimmy sprangen. Vorher warst du der Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, aber dann warst du in diesem Tunnel. Und danach war alles anders zwischen euch. Ich habe nie verstanden, warum, damals jedenfalls nicht. Aber ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube, heute weiß ich es.«
    Ich wollte nichts mehr hören. Die Wahrheit war zu hässlich, sie schwieg niemals, und was sie sagte, war dies: Sie sagte, mein Vater spürte, dass sich mit diesem Tag etwas in mir verändert hatte. Er spürte
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