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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten
Autoren: Simon Tolkien
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das ist.«
    Katya hatte große Lust, Jana noch einmal zu treten, widerstand jedoch der Versuchung. Sie warf einen Blick aus dem Fenster. DerHof war noch immer leer, doch sie war sich sicher, dass binnen Kurzem ein Auto hereinfahren würde. Und wenn sie auch nur die geringste Chance haben wollte, dem Besucher ihre Geschichte zu erzählen, musste sie sich irgendwo verstecken, bis diese Person eintraf. Einen Moment lang verharrte Katya mitten im Raum und wippte unschlüssig auf den Fußballen vor und zurück, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Doch dann atmete sie tief durch und fasste einen Entschluss.
    Lächelnd ging sie zur Tür. Der Schlüssel steckte immer noch im Schloss. Jana hatte ihn beim Hereinkommen nicht abgezogen, deshalb war es auch nicht notwendig, die Taschen der Älteren zu durchsuchen. Das war wie ein gutes Omen. Katya blickte noch einmal zurück, bevor sie die Tür hinter sich zumachte und absperrte. Dann rannte sie mit dem Schlüssel in der Hand den Gang hinunter. Doch ehe sie dessen Ende erreichte, merkte sie, wie die Beine unter ihr einknickten und das Medikament zu wirken begann. Sie musste anhalten und sich an der Wand abstützen, um überhaupt um die Ecke biegen und die Treppe hinuntergehen zu können.
     
    Das erste, was Jana spürte, als sie wieder zu sich kam, waren Kopfschmerzen. Ihre rechte Schläfe pochte so stark, dass es sich anfühlte, als würde sie gleich platzen. Sie bekam Angst. Unwillkürlich fasste sie sich an den Haaransatz und spürte Blut an den Fingern. Sie machte die Augen auf, und der Raum begann sich zu drehen, schnell und schneller. Rasch presste sie die Augen wieder zu, aber es war zu spät. Sie selbst wirbelte jetzt im Kreis, und als sie spürte, wie es ihr den Magen hob, beugte sie sich rasch zur Seite und übergab sich geräuschvoll auf Katyas rubinroten Teppich. Durch die Drehung und das Zusammenkrampfen bemerkte sie, dass auch ihr unterer Rücken wehtat. Eine ganze Weile lang lag sie reglos am Boden neben ihrem Erbrochenen, während diebeiden Schmerzquellen um die Vorherrschaft rangen, bis sie sich schließlich zu einem einzigen, dafür aber umfassenden Schmerzgefühl vereinigten. Und in den Schmerz mischten sich dazu noch Gefühle von Scham und Angst. Sie wusste genau, was sie getan hatte: Sie hatte es vermasselt. Es schüttelte sie bei dem Gedanken daran, was Franz sagen würde, wenn er sie fand. Sie musste aufstehen, die beiden da unten warnen, bevor diese Vanessa eintraf. Sie wusste ja nicht, wo Katya jetzt war. Hier im Zimmer jedenfalls nicht. Diese elende und peinliche Kotzerei hatte wenigstens für einen klaren Kopf gesorgt, und sie stellte fest, dass sie immerhin die Augen öffnen konnte, ohne dass die Möbel sich auftürmten und auf sie niederstürzten. Sie konnte das ungemachte Bett erkennen, die Spritze, die darunter gerollt war, ein Foto von Katyas toten Eltern auf dem Bücherregal, jenseits davon dann die Türe. Die war zu. Sie tastete ihre Taschen nach dem Schlüssel ab – er war nicht da. Wahrscheinlich hatte sie ihn beim Hereinkommen wie ein Vollidiot in der Tür stecken lassen.
    Der Schmerz kehrte in heftigen Wellen zurück, und für einen Moment war es ihr, als würde sie wieder ohnmächtig. Womöglich wäre das auch geschehen, hätte sie nicht das Geräusch eines Autos gehört, das vorfuhr und unten im Hof anhielt. Sie wusste, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Eine Minute, vielleicht zwei. Dann würde Titus die Eingangstüre öffnen und seinen Gast hereinbitten. Mit zusammengebissenen Zähnen robbte sie über den Teppich zur Türe, wo sie die Hand zur Klinke hinaufstreckte und ihren Verdacht bestätigt fand. Es war tatsächlich abgeschlossen. Sie ließ die Türklinke los, zog sich einen Schuh aus und schlug ihn, so fest sie konnte, wieder und wieder gegen den Türrahmen, während sie gleichzeitig um Hilfe rief. Nach einer halben Minute war sie am Ende ihrer Kräfte und verlor erneut das Bewusstsein. Aber das genügte.
    Zwei Türen weiter und einen Stock tiefer saß ihr Bruder Franz auf seinem Bett und polierte ein Paar teurer schwarzer Schuhe. Siewaren fleckenlos und glänzend und mussten überhaupt nicht poliert werden, dennoch putzte er sie jeden Abend. Er genoss das Ritual, das stetige Hin- und Herbürsten. Abgesehen von der Krawatte war er schon komplett für den Abend angezogen und zerbrach sich – wie schon den ganzen Tag – den Kopf über Titus’ unselige Verbindung mit der Frau dieses Kriminalbeamten: Wie konnte man Titus nur
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