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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten
Autoren: Simon Tolkien
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können. Es genügte, um einen Mann dazu zu bringen, einen Mord zu begehen.
    »Sie haben die beiden gesehen, und etwas in Ihnen ist zerbrochen, nicht wahr? Sie beschlossen, Mr. Mendel umzubringen. Das war die einzige Möglichkeit, den Schmerz zu stillen, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Aber dann ging er weg. Das muss hart für Sie gewesen sein, Mr. Swain – Sie mussten warten.«
    Der Angeklagte antwortete nicht, und Arne fuhr erbarmungslos fort: »Und plötzlich, mir nichts dir nichts, kam er wieder und bat Sie, ihn an genau demselben Platz zu treffen, an dem er Sie so verletzt hatte …«
    »Ja. Ich verstehe nicht, warum er das tat«, unterbrach Swain laut und deutlich.
    »Ich auch nicht. Ich bin nicht Mr. Mendel. Aber Sie ließen ja offenbar auch nicht zu, dass er es Ihnen erklärte. Schließlich bot er Ihnen die Gelegenheit, die Sie suchten. Nur das war Ihnen wichtig. Die Gelegenheit, Ihre Rechnung mit ihm zu begleichen. Genau da, wo Sie betrogen wurden. Da, wo der Himmel Ihnen zur Hölle geworden war. Mit einem Messer im Rücken. Das muss für Sie eine süße Rache gewesen sein.«
    »Nein, das stimmt nicht. Ich habe ihn nicht getötet. Ich schwöre es.«
    »Ich kann Sie nicht hören, Mr. Swain. Sie müssen lauter sprechen.«
    In der Tat war es nicht einfach zu verstehen, was Swain sagte. Er beugte sich weit über den Zeugenstand, und seine Worte kamen nur keuchend heraus. Er wirkte wie ein wildes Tier, angeschossen von einem erfahrenen Jäger, dachte Trave. Ein bisschen würde er noch durchhalten, aber über kurz oder lang war er erledigt.
    »Ich habe Ethan nicht ermordet«, sagte er und sah den Staatsanwalt mit geröteten Augen an. »Jemand anders hat das getan.«
    »Und zwar fast genau zu dem Zeitpunkt, an dem Sie bei ihm waren? Exakt dann trat nämlich der Tod ein. Sie haben doch die Aussage des Arztes hier vor Gericht gehört. Oder sind Sie anderer Meinung?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Ich bin froh, das zu hören. Lassen Sie mich also noch mal klarstellen: Sie stehen neben der Leiche des Mannes, der soeben ermordet wurde; des Mannes, dem Sie wiederholt den Tod angedroht haben. Und doch sind nicht Sie der Mörder. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?«
    »Ja.«
    »Aber wenn Sie nicht der Mörder sind, warum rannten Sie dann weg, als Mr. Claes Sie aufforderte, stehenzubleiben?«
    »Weil ich genau wusste, wie das aussehen würde. Und weil er eine Waffe hatte.«
    »Nein. Sie hielten an, als Mr. Claes die Waffe abfeuerte. Weggerannt sind Sie, weil Sie sich schuldig fühlten. Weil man Sie auf frischer Tat ertappt hatte. Das ist doch die Wahrheit, Mr. Swain, oder etwa nicht? Sie sind schuldig im Sinne der Anklage.«
    Arne setzte sich, ohne Swains Antwort abzuwarten. Er hatte das Notwendige getan. Und die Geschworenen brauchten dann auch nicht lange, um am nächsten Tag zu ihrem Urteil zu gelangen. Trave erinnerte sich noch lange danach an den Ausgang der Verhandlung. Daran, wie Swain in sich zusammengesackt war; wie er halb gestützt, halb getragen werden musste, als es von der Anklagebank die Treppen hinunter zu den Zellen ging, wo seine lebenslängliche Haftstrafe begann; an die Stille im Gerichtssal, nachdem er fort war.
    »Gute Arbeit, Mr. Trave«, sagte Arne, als er Trave später auf der Treppe des Gerichtsgebäudes die Hand schüttelte. »Der Junge kann von Glück sagen, dass er nicht baumelt. Hätte er geschossen,würde das noch mal anders aussehen.« Trave nickte nachdenklich und wünschte sich, Arnes Überzeugung teilen zu können. Allen Indizien zum Trotz nagte etwas an ihm, ein leiser Zweifel, den sonst niemand mit ihm teilte. Polizeiarbeit ist doch so gut wie immer eine einsame und erbärmliche Angelegenheit, dachte er, als er die Straße zum Parkplatz überquerte und seinen Kragen hochschlug, um sich vor dem eisigen Wind zu schützen.

ERSTER TEIL
    1960

Kapitel Eins
    Der Spätsommer lag über dem Land. In den Wäldern hinter dem Haus hing das rotbraune Laub in den Bäumen, und im Hof vorne spritzte silbriges Wasser aus den Mündern der steinernen Meerjungfrauen hinab in das graublaue Becken des Brunnens, nur um in einem endlosen Kreislauf gleich wieder aufgesaugt, nach oben gepumpt und erneut herausgespritzt zu werden. Der Hof lag leer und still. Oben spiegelten sich die letzten goldenen Strahlen der untergehenden Abendsonne in den blankgeputzten Scheiben der Schiebefenster, die sich in drei symmetrischen Reihen über die Vorderfront von Blackwater Hall erstreckten. Alle sahen gleich aus, bis auf das eine
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