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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten
Autoren: Simon Tolkien
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sah sich eines nach dem anderen genau an und legte sie dann mit einem Seufzer auf den Tisch.
    »Denken Sie, dass dies die Entdeckung ist, die Ethan Mendel in Westdeutschland gemacht hat? Dass Claes für Eichmann gearbeitet hat? Haben Claes und Osman ihn deshalb getötet?«, fragte er.
    »Ich vermute, ja«, sagte Trave. »Osman musste Claes helfen, denn Claes wusste ja auch um sein Geheimnis. Sie waren durch das Wissen, das sie voneinander hatten, fest aneinander gebunden. Am Ende müssen sie sich ziemlich gehasst haben.«
    »Ein Pakt, der in der Hölle geschlossen wurde«, sagte Arne und nickte. »Aber warum hat Jacob nicht finden können, was sein Bruder entdeckt hatte? Er hat ja bei seiner Suche alle Hebel in Bewegung gesetzt.«
    »Ich denke, Claes ist nach Ethans Tod nach Deutschland gegangen, um alle Unterlagen zu vernichten«, sagte Trave nachdenklich. »Ethans Fehler war, zu glauben, Osman hätte nichts mit der Sache zu tun. Er hat sich das eigene Todesurteil ausgestellt, als er nach Blackwater zurückkehrte und Osman von seinem Fund erzählte.«
    »Und doch haben Sie die Wahrheit herausgefunden«, entgegnete Arne.
    »Ja, aber in Israel, und nicht in Deutschland. Und die Verbindung zwischen Claes und Eichmann kam erst heraus, nachdem die Israelis im Vorjahr begonnen hatten, Eichmann zu vernehmen und die Anklageschrift für den Prozess zusammenzustellen.«
    Arne schwieg einen Moment, bevor er aufstand, zum Fenster ging und hinaus in die Dunkelheit schaute. »Ein Werk des Teufels ist das«, sagte er dann ernst. »In meiner ganzen Laufbahn habe ich etwas Derartiges noch nie erlebt. Ich habe diesen Jungen zweimal wegen Mord angeklagt, und beide Male war ich mir sicher, dass erhängen wird. Schon beim ersten Mal war ich vollkommen überzeugt, dass er den Galgen verdient. Jetzt ist er plötzlich unschuldig, so unschuldig wie Sie und ich. Was Sie mir hier gebracht haben, lässt mich an mir selbst zweifeln – an mir und an unserem ganzen Rechtssystem.«
    »Dann helfen Sie uns also?«, fragte Trave. »Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst hätte wenden können.«
    »Ja«, sagte Arne mit fester Stimme. »Ich muss mit ein paar Leuten reden, aber ich werde mich dafür einsetzen, dass der Berufung stattgegeben wird. Darauf können Sie sich verlassen. Und ich hoffe, dass auch Sie, Mr. Trave, wieder rehabilitiert werden. Das ist das Mindeste, was Ihnen zusteht.«
    Als Trave beim Hinausgehen Arnes Hand schüttelte, musste er daran denken, dass er ihm früher einmal wie ein Raubvogel vorgekommen war, der seiner Beute auflauert. Wie anders er jetzt aussah, dachte Trave. Genau genommen hatte er noch nie einen Staatsanwalt gesehen, der derart menschlich wirkte.
     
    Zwei Tage später, am Dienstagmorgen, erhielt David Swain die Anweisung, sich anzuziehen, um vor Gericht zu erscheinen. Er war irritiert. Sein Anwalt hatte ihm gesagt, dass man über seinen Berufungsantrag frühestens in einer Woche beraten würde. Trotzdem saß er jetzt ohne jede Vorwarnung in dem Transporter. Er fragte sich, ob das vielleicht in Zusammenhang mit Osmans Tod stand, von dem er im Radio erfahren hatte. Wobei in dem Bericht keine Rede von irgendwelchen neuen Beweisen gewesen war. David konnte noch das besorgte Gesicht vor sich sehen, das sein Anwalt am Ende seines letzten Besuchs auf die Frage nach seinen Chancen gemacht hatte. Das ließ für seinen Berufungsantrag nicht sonderlich Gutes erhoffen.
    Aber diese ganzen Spekulationen waren ohnehin sinnlos. David drückte das Gesicht ans Fenster und sog gierig Bilder in sich auf, die er vielleicht nie wieder würde sehen können – einen Zeitungsverkäufer,der seinen kleinen Stand vor der Euston Station aufbaute, das sprudelnde Wasser der Brunnen am Trafalgar Square, einen Radfahrer, der im dichten Verkehr auf der Charing Cross Road Slalom um die Autos fuhr, während eine angestrengt wirkende Frau die Hand eines kleinen Jungen festhielt und darauf wartete, dass die Ampel grün wurde. Das könnte eigentlich meine Mutter mit Max sein, dachte David und spürte einen Stich.
    Schließlich bog der Transporter in die Einfahrt des Königlichen Gerichtshofes. David konnte einen kurzen Blick auf die silbergrauen Steintürmchen und gewaltigen Bogengänge erhaschen, dann wurde er ins Gebäude geführt und erneut in eine Zelle gesperrt. Eisentüren und Steinböden und Betonwände und tropfende Wasserhähne und der ewige Gestank nach Urin – dies war jetzt seine Welt, fernab des Sonnenscheins und der Grünanlagen und
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