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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch
Autoren: Martin Suter
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den schwarzgebrannten Bodensatz von quadratmetergroßen Kippbratpfannen scheuern. Im Huwyler konnte er dazulernen, auch wenn man ihn nicht ließ. Er hatte Augen im Kopf, er guckte sich Techniken ab und lernte aus den Missgeschicken anderer Leute. Dass ihn die Köche nicht besonders gut behandelten, machte ihm nicht viel aus. Er war schon schlechter behandelt worden. Hier und in seiner Heimat.
    Maravan stand auf, warf zwei Handvoll Weizenmehl in eine Teigschüssel, fügte etwas lauwarmes Wasser und ein wenig Ghee hinzu, setzte sich mit der Schüssel wieder auf den Stuhl und begann den Teig zu kneten.
    Als er in Jaffna seine Kochlehre machte, ertrugen seine Lehrmeister es schlecht, dass er geschickter, begabter und einfallsreicher war als sie. Er hatte lernen müssen, dass er sich dumm anstellen musste, wenn er weiterkommen wollte. Und später, als er Jaffna verließ und in einem Hotel an der Südwestküste arbeitete, behandelten die Singhalesen ihn mit der Herablassung, die sie Tamilen entgegenbrachten.
    Der Teig war jetzt geschmeidig und elastisch. Maravan stellte die Schüssel beiseite und deckte sie mit einem sauberen Küchentuch zu.
    In letzter Zeit gefiel es ihm im Huwyler besonders gut. Genau genommen, seit Andrea dort arbeitete. Er war, wie alle in der Brigade, fasziniert von diesem eigenartigen, schmalen, bleichen Wesen, das mit abwesendem Lächeln durch alle hindurchblickte. Aber er bildete sich ein, der Einzige zu sein, der von ihr, selten zwar, aber immerhin, beachtet wurde. Dafür sprach auch, dass ihn die Köche, sobald sie in Blickweite war, noch mehr von oben herab behandelten.
    Heute, zum Beispiel, als Andrea darauf wartete, bei Bandini einen Gang abrufen zu können, während er Teller vorspülte, hatte sie in seine Richtung geblickt und gelächelt. Nicht durch ihn hindurch. Ihm zugelächelt.
    Maravan hatte wenig Kontakt zu Frauen. Die unverheirateten Töchter in der tamilischen Gemeinde waren zu behütet, um mit Männern Beziehungen zu pflegen. Eine tamilische Frau musste als Jungfrau in die Ehe. Und wen sie heiratete, bestimmten traditionsgemäß die Eltern.
    Es gab schon Schweizerinnen, die sich für ihn interessierten. Aber sie galten bei den Tamilen wegen ihres freizügigen Lebenswandels als schlechte Frauen. Sich mit einer von ihnen einzulassen würde Schande über seine Familie in Sri Lanka bringen. Und dass sie es früher oder später erfahren würde, dafür sorgte die Gemeinschaft der tamilischen Flüchtlinge, die Diaspora. Er hatte sich damit abgefunden, das Leben eines Junggesellen zu führen, und vertröstete sich auf eine vage Zukunft als Ehemann und Vater in Sri Lanka.
    Aber seit dem Auftauchen von Andrea regten sich Gefühle, die er durch seine tiefe und mächtige Leidenschaft, das Kochen, überwunden geglaubt hatte.
    Der erste Tropfen des Destillats fiel in den Scheidetrichter, hell und klar. Ein nächster folgte und ein nächster. Bald tropfte das Destillat in regelmäßigen kurzen Abständen in den Behälter. Maravan versuchte, an nichts anderes zu denken als an die Tropfen. Wie sie fielen und fielen, wie die Sekunden, Minuten, Tage und Jahre.
    Er wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis der Inhalt des Kolbens auf ein paar Zentiliter reduziert und die Tropfen versiegt waren. Maravan öffnete das Hähnchen des Scheidetrichters und ließ das Wasser ablaufen, bis nur noch das ätherische Öl im untersten Teil des konischen Gefäßes übrig blieb. Er mischte es mit dem Konzentrat aus dem Kolben und hielt es an die Nase.
    Er roch die Curryblätter, den Zimt, das Kokosöl. Aber das, wonach er suchte, fand sich nicht: die Essenz dessen, zu dem sich die drei Stoffe in Nangays Eisenpfanne über dem Holzfeuer vereinigt hatten.
    Maravan nahm eine
tawa,
eine schwere Eisenpfanne, von der Wand und stellte sie aufs Gas. Er streute etwas Mehl auf die Arbeitsfläche neben dem Herd und formte aus dem Teig ein paar Chapatis. Als die Pfanne heiß genug war, legte er das erste in die Pfanne und bräunte es auf beiden Seiten. Und wieder entstand ein Duft, der ihn in seine Jugend versetzte.
     
    Als Maravan fünfzehn war, schickte Nangay ihn nach Kerala in Südindien. Eine alte Freundin arbeitete dort als ayurvedische Köchin in einer neueröffneten Hotelanlage, der ersten des Landes mit einem breiten Angebot an ayurvedischen Behandlungen. Maravan sollte dort die Arbeit in einer Hotelküche erlernen und in die ayurvedische Küche eingeweiht werden.
    Vieles kannte Maravan schon von Nangay, und er gab
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