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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch
Autoren: Martin Suter
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Katalog eines Großhändlers von Spezialküchengeräten. Diesen öffnete er noch beim Briefkasten und blätterte darin, während er die Treppen zum vierten Stockwerk hinaufstieg, wo sich seine Wohnung befand. Zwei kleine Zimmer, ein winziges Bad und eine überraschend geräumige Küche mit Balkon, alles durch einen mit abgetretenem Linoleum ausgelegten Flur verbunden.
    Maravan machte Licht. Bevor er das Wohnzimmer betrat, ging er ins Bad und wusch sich Gesicht und Hände, dann zog er die Schuhe aus, legte die Post auf den Tisch und zündete mit einem Streichholz den Docht der Deepam an, der tönernen Lampe, die auf dem Hausaltar stand. Er ging auf die Knie, legte die flachen Hände vor der Stirne gegeneinander und verneigte sich vor Lakshmi, der Göttin des Wohlstandes und der Schönheit.
    Es war kühl in der Wohnung. Maravan kauerte sich vor den Ölofen, zog den Zünder und ließ ihn zurückschnellen. Fünfmal klang das helle metallische Hämmern durch die Wohnung, bis der Ofen brannte. Maravan zog seine Lederjacke aus, hängte sie an einen der zwei Garderobehaken im Flur und ging ins Schlafzimmer.
    Als er wieder herauskam, trug er ein Batikhemd, einen blaurot gestreiften Sarong und Sandalen. Er setzte sich neben den Ofen und las den Brief seiner Schwester.
     
    Die Nachrichten waren nicht gut. An den Checkpoints zu den tamilischen Gebieten wurden die Transporte behindert. Die wenigsten der Lebensmitteltransporte von Februar und März hatten den Distrikt Kilinochchi erreicht. Die Preise von Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff stiegen ins Unbezahlbare.
     
    Er legte den Brief auf den Tisch und versuchte, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Es waren beinahe drei Monate vergangen, seit er zum letzten Mal im Batticaloa-Basar gewesen war, dem tamilischen Laden in der Nähe, und dem Ladenbesitzer Geld und die Ausweisnummer seiner Schwester gegeben hatte. Vierhundert Franken waren es gewesen, siebenunddreißigtausendachthundert Rupien, nach Abzug der Gebühren.
    Er verdiente knapp dreitausend Franken, und trotz der günstigen Miete von siebenhundert und obwohl er allein lebte, blieb ihm nach Abzug der Krankenkasse und dem, was ihm Huwyler als Quellensteuer abzog, gerade genug zum Essen. Besser gesagt: zum Kochen.
    Kochen war nicht nur Maravans Beruf. Kochen war seine große Leidenschaft:. Schon als die ganze Familie noch in Colombo lebte, verbrachte er die meiste Zeit bei Nangay in der Küche. Die Eltern arbeiteten beide in einem der großen Hotels der Stadt, der Vater an der Rezeption, die Mutter als Hausdame. Wenn die Kinder nicht in der Schule waren, standen sie unter der Obhut der Großmutter. Aber weil Maravan noch nicht zur Schule ging, nahm ihn seine Großtante Nangay an manchen Tagen mit zur Arbeit, damit ihre Schwester die Hausarbeit und Einkäufe machen konnte. In der Herrschaftsküche stand Nangay sechs Helferinnen vor. Eine von ihnen hatte immer Zeit, sich um den Kleinen zu kümmern.
    So wuchs er auf zwischen Pfannen und Töpfen, Gewürzen und Kräutern, Gemüsen und Früchten. Er half Reis waschen, Linsen verlesen, Kokosnuss raspeln, Koriander zupfen, schon mit drei Jahren durfte er unter Aufsicht mit einem scharfen Messer Tomaten würfeln und Zwiebeln hacken.
    Schon früh war Maravan fasziniert von den Vorgängen, die ein paar krude Rohprodukte in etwas ganz anderes verwandelten. Etwas, das man nicht nur essen konnte, das einen nicht nur sättigte und ernährte, sondern das sogar glücklich machte.
    Maravan sah genau zu, merkte sich die Zutaten, Mengen, Vorbereitungen und Reihenfolgen. Mit fünf konnte er ganze Menüs kochen, und mit sechs, noch bevor er zur Schule musste, lernte er schreiben und lesen, weil er die Rezepte nicht mehr alle im Kopf behalten konnte.
    Die Einschulung empfand er als beinahe größere Tragödie als kurz darauf den Tod seiner Eltern, dessen Details er erst erfuhr, als er schon fast erwachsen war. Für ihn kamen sie, die ohnehin meistens abwesend waren, einfach nicht mit nach Jaffna. Die Reise dorthin erlebte er als chaotisch und das Haus der Verwandten, bei denen sie in der ersten Zeit lebten, als klein und überfüllt. Aber er musste nicht zur Schule und konnte seine Tage bei Nangay in der Küche verbringen.
     
    Der Ölofen hatte etwas Wärme in das kleine Wohnzimmer gebracht. Maravan stand auf und ging in die Küche.
    Vier Leuchtstofflampen tauchten den Raum in weißes Licht. Er enthielt einen großen Kühlschrank und einen Tiefkühler in der gleichen Größe,
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