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Der Klang des Verderbens

Der Klang des Verderbens

Titel: Der Klang des Verderbens
Autoren: Leslie Parrish
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habe ich IM AUGE. Und ich weiß, dass Sie selbst gern genauer ins AUGE fassen, was andere Menschen sehen.
    Das war kein Zufall mehr – mehrere direkte Anspielungen aufs OEP . Wer sonst sollte auf diesen Augen-Redewendungen herumreiten, wenn nicht jemand, der irgendwie mit dem Programm zu tun hatte?
    Sie fällte kurzerhand eine Entscheidung, öffnete die Mail und las noch eine weitere Textzeile.
    Warum sehen Sie sich diese verdorbene Welt nicht einmal MIT MEINEN AUGEN an, Veronica?
    Damit stand es fest. Der Anhang musste ein Video-Download eines OEP -Teilnehmers sein. Er oder sie hatte mit irgendwem ein Hühnchen zu rupfen oder wollte etwas loswerden und hatte irgendwie herausgefunden, dass Ronnie eine OEP -Ermittlerin war. Ihre Beteiligung an der Aufklärung des Mordes im Weißen Haus war landesweit in den Nachrichten gewesen, und eine Testperson, die natürlich über das Experiment Bescheid wusste, hätte durchaus zwischen den Zeilen lesen und verstehen können, was das für eine nicht genauer bezeichnete neue Technologie gewesen war, mit deren Hilfe sie den Fall gelöst hatten. Vor allem weil Dr. Tates Name in diesem Zusammenhang auch alle naselang aufgetaucht war.
    Ihr gesunder Menschenverstand riet ihr, sich keine Hoffnungen darauf zu machen, dass das hier der bahnbrechende Hinweis sein könnte, der ihre ruhende Ermittlung aus dem Tiefschlaf weckte. Aber sie musste zugeben, dass ihr Herz klopfte und sich über ihren Lippen ein hauchdünner Schweißfilm bildete.
    Sie dachte noch einen Augenblick an all die Warnungen ihrer IT -Jungs zum Thema Öffnen unbekannter, unverlangter Anhänge, dann murmelte sie: »Ach, was soll’s, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
    Ein Klick, und der Download startete.

2
    Der Download brauchte eine Weile – es war eine riesige MOV -Datei, und bei Gott, sie hoffte, dass ihr das Video nicht bloß zeigte, wie ein Typ auf seinen Johannes starrte, während er sich einen runterholte.
    Das war vorgekommen.
    Für den Beta-Test des Programms hatte man Häftlinge herangezogen. Die waren gern kreativ geworden, da sie wussten, jemand würde dasitzen und sich alles anschauen müssen, was sie taten. Igitt.
    In der Wache ging das Geplauder weiter, und Ronnie merkte plötzlich, dass sie völlig ungeschützt dasaß und jeder ihr von hinten über die Schulter auf den Bildschirm blicken konnte. Verdammt, sie brach heute Morgen alle möglichen Regeln. Sie war die einzige OEP -Ermittlerin im Gebäude und sollte sich so etwas wirklich nicht im Gemeinschaftsbüro anschauen.
    Sie schnappte sich ihren Laptop, drückte ihn an die Brust und marschierte zum Pausenraum – willens, jeden hinauszuwerfen, der sich dort aufhalten sollte. Zum Glück war er leer. Besser noch, Baxter war ihr nicht gefolgt.
    Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher auf stumm. Obwohl die OEP -Dateien keine Tonspur beinhalteten, sollte sie sich lieber konzentrieren können. Sie setzte sich an den Tisch und stellte den Laptop direkt vor sich. Der Download war beendet, und ein Wiedergabeprogramm war aufgesprungen.
    Ronnie richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Video.
    Dunkelheit. Dann allmählicher Lichteinfall, während sich langsam ein Augenpaar öffnete – Sekunde für Sekunde, sodass sie die dünnen Streifen dunkler Wimpern erkennen konnte; und dann eine weiß gestrichene Wand aus Betonblöcken.
    Der Blick heftete sich auf diese Weiße wie auf eine Leinwand, die gleich bemalt werden sollte. Die Sekunden verstrichen; das Zögern musste Absicht sein. Als wolle der Betrachter ihr die Gelegenheit geben, sich an das seltsame Gefühl zu gewöhnen, im Blick eines anderen zu stecken. Denn genau so ging es ihr in diesem Moment. Sie sah durch die Augen eines anderen und betrachtete eine Welt, die durch das OEP -Gerät in einer anderen Testperson aufgenommen worden war.
    Das war für Ronnie inzwischen nichts Neues mehr. Abgesehen von der Ermittlung im letzten Sommer hatte sie während des Trainings in Texas Hunderte von Downloads ausgewertet. Sie hatte sich auch ihre eigenen Back-ups angesehen, hatte sich hier und da Szenen herausgepickt, weil sie wissen wollte, ob die Welt mit einigen Stunden Abstand wohl anders aussah, selbst durch ihre
eigenen
Augen. Es hatte sie überrascht, wie viel ihr in ihrem peripheren Gesichtsfeld entgangen war und um wie viel einfacher sich die Gemütslage oder Gefühle ihres Gegenübers einschätzen ließen, wenn man das Bild verlangsamen und sich auf jeden einzelnen Gesichtsausdruck
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