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Der Klang des Verderbens

Der Klang des Verderbens

Titel: Der Klang des Verderbens
Autoren: Leslie Parrish
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denken, wie schwer das für die Eltern sein muss – das erste Weihnachten ohne ihre Kinder.«
    »Leichter wird’s nie«, erwiderte Ronnie und kam mit dieser Bemerkung gefährlich nahe an den wahren Grund, warum sie die Feiertage am liebsten überspringen würde.
    Vorher und nachher.
So würde ihr Leben und jedes Ereignis darin immer eingeteilt werden.
    Vor dem 20. Oktober 2017 war Weihnachten immer ein fröhliches Beisammensein mit ihren Eltern, ihren Brüdern und deren Frauen in ihrem Elternhaus in Arlington gewesen.
    Nach dem 20. Oktober war Weihnachten eine unbarmherzige Erinnerung an eine Welt, die es nicht mehr gab. An diesem Tag musste sie ihre Mutter besonders aufmerksam beobachten, um sicherzugehen, dass die immer noch trauernde ältere Dame nicht versuchte, ihren Kummer in einer Flasche Whiskey und einer Packung Tabletten zu ertränken, so wie vor fünf Jahren.
    Vor dem 20. Oktober hatte sie viel gehabt, worüber sie sich aufrichtig freuen konnte.
    Danach? Tja … Freude wurde überbewertet. Ronnie setzte inzwischen mehr auf Sicherheit.
    Seltsam. Eigentlich war das derselbe Kurs, den ihr Land eingeschlagen hatte.
    Es herrschte noch einen Augenblick Stille, dann kam Baxter wieder in Schwung, nachdem sie endlich Ronnies Aufmerksamkeit erlangt hatte. »Noch mal zu der Party: Ich wollte eigentlich Plätzchen mitbringen, aber wenn alle anderen auch …«
    Ronnie, die sich plötzlich erschöpft und ausgelaugt fühlte, unterbrach sie. »Ja, bringen Sie nur welche mit.« Sie wandte sich der jungen Frau zu. Nach einigen Wochen Zusammenarbeit mit Baxter wusste sie, dass sie sich nicht so leicht abschütteln ließ. Sie mochte ja fröhlich sein, doch sie war auch erbarmungslos hartnäckig. Vielleicht würde ihr das eines Tages bei der Arbeit als Polizistin noch zugutekommen … wenn sie nicht jemand, ihr nächster Partner zum Beispiel, vorher von einer Brücke stieß. »Ich liebe Plätzchen. Der Lieutenant liebt Plätzchen. Alle lieben Plätzchen.«
    Anscheinend völlig begeistert davon, Ronnies Interesse geweckt zu haben – wohl kaum, wenn es um Gebäck und Geschenke ging –, lächelte die junge Frau breit. Vielleicht war das also die Lösung, um sie zum Schweigen zu bringen? Einfach hin und wieder eine Frage beantworten, selbst wenn es die dümmste Frage war, die sie je gehört hatte?
    »Welche Sorte?«
    Na gut, vielleicht die zweitdümmste. Zähneknirschend drehte Ronnie sich wieder um, beschloss, sich einfach mit dem zähflüssigen Gebräu am Boden der Kanne zufriedenzugeben, und goss es in ihre Tasse. Dann marschierte sie an ihrer jungen Partnerin vorbei.
    »Haben Sie einen Vorschlag?«, fragte Baxter, die offensichtlich die Blitze nicht bemerkt hatte, die aus Ronnies Augen schossen.
    »Irgendwas mit Zucker«, murmelte sie, während sie zurück zu ihrem Schreibtisch ging.
    Als sie sich setzte, bemerkte sie ein kleines Signal auf ihrem Laptopbildschirm, das verkündete, dass sie in den letzten Minuten eine E-Mail bekommen hatte. Wahrscheinlich nichts von Bedeutung, aber sie schenkte ihr doch ihre volle Aufmerksamkeit. Baxter hatte sich wieder an Daniels’ Tisch gesetzt. Damit sie nicht auf die Idee kam, Ronnie nach ihrer Meinung zu Plätzchen mit Mehl oder ohne zu fragen, war es wohl das Beste, beschäftigt zu wirken.
    Ronnie nahm einen Schluck von dem verbrannten Kaffee und öffnete ihr E-Mail-Postfach. Als sie den Absender sah, runzelte sie die Stirn. Anonymer ging es kaum noch – eine lange Folge von Zahlen vom beliebtesten Mailserver des Landes.
    Da zu der Nachricht ein großer Anhang gehörte, war ihr erster Impuls, die Mail zu löschen, weil sie befürchtete, dass irgendetwas Pornografisches oder Virenverseuchtes durch die strengen Spamfilter des Departments gerutscht war. Ihre Finger glitten über das Touchpad, und sie scrollte den Cursor zum »Löschen«-Knopf.
    Aber sie drückte ihn nicht. Denn eine bestimmte Formulierung in der Betreffzeile weckte ihre Aufmerksamkeit und ließ ihr Herz für einen Schlag aussetzen.
    Sehen Sie sich das MIT EIGENEN AUGEN an, Detective Sloan.
    Die Wortwahl konnte Zufall sein, eine reißerische Ankündigung, um sie dazu zu kriegen, eine Werbung für irgendeine neue Hightech-Laserbehandlung gegen Falten anzuklicken, mit der jede Siebzigjährige aussah wie vierzig.
    Los, ab in den Junk-Ordner damit. Das war garantiert Spam.
    Vielleicht aber auch nicht.
    Einen Moment später erschien eine Vorschau auf den Nachrichtentext.
    Ich habe ein AUGE auf Sie. Auch Ihre Arbeit
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