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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Büchle
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aufzuräumen und das Instrument sorgfältig abzudecken, zog die Augenbrauen in die Höhe. Als hinter ihm die Tür ins Schloss fiel, seufzte er frustriert auf. Das Mädchen hatte den Raum schon wieder verlassen!
    „Meine Zeit, was für ein Wirbelwind“, murmelte er und beeilte sich, seine Aufräumarbeiten zu beenden. Wenig später trat er in den Flur hinaus und fand Norah in ein Gespräch mit der rundlichen kleinen Frau vertieft, die jeden Abend die Büroräume und Flure putzte.
    In diesem Augenblick lachte die Reinigungsfrau glockenhell auf. Norah schmunzelte und setzte die Unterhaltung fort. „Sie haben recht, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, also so alt wie ihre jüngste Tochter.“
    Verblüfft atmete Richard tief ein. Das konnte doch nicht möglich sein! Dieses frech grinsende, lebenslustige Kind sollte fast so alt sein wie er selbst?
    Die Frau sprach erneut auf Norah ein und diese hing förmlich an ihren Lippen. Der breite badische Dialekt, gemischt mit Ausdrücken, die typisch für diese Region waren und nur 30 oder 40 Kilometer entfernt schon nicht mehr benutzt wurden, machte die Verständigung zwischen der Irin und der rundlichen Frau schwierig.
    Allerdings verleitete dieser Umstand Norah zu einem vergnügten Lachen, während sie die verdutzte Putzfrau einfach umarmte. Diese begriff, vor welchem Problem die Fremde stand, und gab sich fortan deutlich mehr Mühe, zumindest langsamer zu sprechen. Doch die schriftdeutschen Worte mochten ihr einfach nicht gelingen. Die beiden Frauen lachten herzhaft, und schließlich winkte Norah Richard herbei.
    Belustigt übersetzte er nicht von Deutsch in Englisch, sondern von Badisch in Schriftdeutsch. Nebenbei musterte er die Putzfrau. Bestimmt war er schon etliche Male an ihr vorbeigegangen, doch auf der Straße hätte er sie mit Sicherheit nicht erkannt. Er achtete nicht auf die Leute, die eine in seinen Augen geringere Arbeit ausführten als er, schließlich wollte er sich nach oben orientieren.
    „Vielen Dank, Frau Meisner. Alle hier Arbeitenden sind Ihnen bestimmt dankbar, dass Sie jeden Tag so wunderbar sauber machen. Da fühlen sich alle doch sofort wohler und arbeiten noch ein bisschen lieber, nicht wahr?“
    Während er wieder einmal der jungen Frau hinterherlief, überlegte Richard, ob die Putzfrau vielleicht eine Verwandte der gleichnamigen Bürovorsteherin sein könnte. Er wusste es nicht. Und eigentlich musste es ihn ja auch nicht interessieren.

    Im Eiltempo umrundeten sie das gesamte Werksgelände, und danach bat Norah ihren schweigsamen Begleiter, sie auch noch durch die nähere Umgebung zu führen. Somit marschierten sie wenig später durch Stühlinger, einen recht jungen Stadtteil Freiburgs, in dem sich in den letzten Jahrzehnten mehrere Betriebe angesiedelt hatten.
    Die Junisonne schien angenehm warm vom beinahe wolkenlosen Himmel herab und zwischen den Häusern, Bäumen und Mauern regte sich kein Windhauch. Norah mäßigte ihre Schritte, da ihr inzwischen recht warm geworden war. Immerhin war sie die etwas raueren klimatischen Bedingungen Irlands gewohnt, wo stetig mal sanfte, dann aber auch wieder kräftige Windböen vom Meer her durch die Straßen und Gassen ihrer Heimatstadt bliesen. Irgendwann blieb sie stehen und zog die Nadeln aus dem kleinen, mit einem bunten Band geschmückten Strohhut, um diesen abzunehmen.
    Dabei fiel ihr Blick auf ihren Begleiter. Richard war ebenfalls stehen geblieben und wartete höflich auf sie, wobei er sehr aufrecht, beinahe steif dastand und die Hände hinter seinem Rücken verschränkt hielt. In dieser Haltung wirkte er sehr beherrscht und aufgeräumt. Allerdings konnte sie deutlich die beiden Längsfalten auf seiner Stirn sehen, die sich dort in der vergangenen Stunde zunehmend tiefer eingegraben hatten. Ob sie die als ein Zeichen von Missstimmung deuten musste?
    Sie wusste, dass sie von Menschen, die sie nicht näher kannten, häufig als eine ausgesprochen unternehmungslustige, anstrengende, vielleicht sogar aufgedrehte Person empfunden wurde. Ihr Lehrer in der weiterführenden Schule hatte bereits seine Schwierigkeiten damit gehabt, dass sie während der Schreib- und Rechenübungen mehr neben ihrem Stuhl stand als auf diesem saß oder die Augen überall hatte, nur nicht an der Tafel.
    Erstaunlicherweise war es ein älterer Lehrer gewesen, der kurz vor seiner Pensionierung stand, der ihre innere Unruhe in nutzbare Energie umgewandelt hatte. Er hatte sie dazu ermuntert, den etwas schwächeren Schülern bei ihren
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