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Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausgetrunken! Es war noch dreiviertel voll, als ich zum Lokus ging. Dreiviertel … bis hierhin …!«
    Er riß das Glas hoch und zeigte Jean mit dem Daumen, wo eben noch das Bier gestanden hatte. So aufgeregt war er, daß das Glas in seiner Hand bebte.
    »Und jetzt komme ich vom Lokus zurück und das Glas ist leer. Wieder leer! Wie vorhin! Was sagen Sie dazu, Jean?«
    Erst die Baronin, jetzt Hallinsky, dachte Jean und zog höflich ein betroffenes Gesicht. Das muß an der Luft liegen; ich habe bis heute nicht gemerkt, daß die Bali-See aufs Gemüt schlägt.
    »Was soll man dazu sagen?« antwortete er. »Da muß jemand …«
    »Ja, da muß jemand mein Bier geklaut haben!« Hallinskys Stimme dröhnte jetzt über Deck, und wieder hoben sich einige Köpfe mit mißbilligenden Blicken. Drei Herren richteten sich sogar auf, das Wort Bier trieb sie hoch. »Was sind das hier für Zustände?« rief Hallinsky unbeirrt. »Was für Menschen haben wir denn hier an Bord? Kaum läßt man sein Bier zwei Minuten allein, wird es einem weggesoffen!« Er sah über das Deck, blickte in erstarrte Gesichter und nahm das zum Anlaß, einmal richtig auszupacken. »Man sollte doch annehmen: Wer so eine Kreuzfahrt macht, hat auch das Geld, sich ein Bier zu leisten. Ein eigenes Bier! Aber nein … es wird geklaut …! Ja, wo bin ich denn hier?«
    Es war peinlich, ohne Zweifel. Die anderen Passagiere legten sich in ihre Liegestühle zurück, ließen sich weiter von der Sonne anbrennen, schlürften Drinks oder lasen in handlichen Taschenbüchern. Keiner war da, der Hallinsky bedauerte, der zu ihm trat und ihm mitfühlend die Hand drückte.
    »Vielleicht hat er einen kleinen Sonnenstich«, flüsterte sogar eine Frau ihrem Mann zu. »Wer klaut denn hier ein Bier …«
    Hallinsky raffte seinen Bademantel vom Stuhl und warf das Frotteetuch über seine Schulter. Jean sah ihn ratlos und betroffen zugleich an.
    »Noch ein Bier, Herr Hallinsky?« fragte er.
    »Nein!« Hallinsky drückte das Kinn an. »Hier an Deck nie mehr! Ich habe keine Lust, neben meinem Bier eine Wache aufzustellen.«
    Mit stampfenden Schritten verließ er das Sonnendeck, von vielen schadenfreudigen Blicken verfolgt. Der unglückliche Jean nahm den gläsernen Bierseidel vom Tischchen, wollte ihn wegtragen und stutzte plötzlich. Noch einmal blickte er genau in das Glas. Am Rand, von getrocknetem Bierschaum festgehalten, klebte ein Haar. Ein langes, schwarzes Haar.
    Verblüfft starrte Jean dem gerade in der Bartür verschwindenden Hallinsky nach: Eduard Hallinsky hatte ergraute, fast schon weiße Haare …
    »Das ist'n Ding«, sagte Jean leise und überlegte, ob er seine Entdeckung dem Obersteward melden sollte. »Das ist wirklich 'n tolles Ding …«
    Ein Magazinverwalter auf einem Luxusschiff ist ein ungeheuer wichtiger Mann. Ohne ihn läuft nichts – nicht in der Küche, nicht in der Bordbäckerei, nicht im Service. Wie der Engel am Eingang zum Paradies, so thront er in einem Glaskasten auf Deck B, tief unten im Bauch des Schiffes, vor den vielen Türen des Magazins, hinter denen sich Tonnen von Lebensmitteln, Kartoffeln, Obstkonserven, Bierfässern, Wein, Sekt und Champagner, Spirituosen, Eiern, Fleisch und Fett verbergen – von den Frischwaren, die man in großen Häfen dazukauft, ganz zu schweigen. Vor allem eine Tür ist mit zwei großen Extraschlössern verriegelt, dickwandig wie ein Tresor und genauso bewacht: Der Kühlraum mit Kaviar, Lachs und anderen Luxusgenüssen.
    Rudi Faster fuhr seit neunzehn Jahren zur See und hatte sich – man muß das loben – vom einfachen Küchenhelfer bis zum Magazinverwalter emporgearbeitet. Vor allem eins schätzte man an ihm: Seine Korrektheit, seine peinliche Listenführung und seine Ehrlichkeit. Aus seinem Magazin kam nichts heraus ohne Empfangsquittung. Ohne Unterschrift in der Ausgangsliste lief gar nichts. Wollte das Restaurant Käse haben: Unterschrift! Das Mehl für die täglichen Brötchen, die fünf Brotsorten, die Kuchen und Torten, alles in der Bordbäckerei gebacken: Nur gegen Unterschrift! Apfelsinen, Bananen, Melonen, Mango, Äpfel, Birnen, Weintrauben, Pfirsiche, Kiwis oder Papayas … zähl nach, Junge, und unterschreibe.
    Jetzt war er sechsundvierzig Jahre, ein Brocken von Mann mit dunklem Bart und einer Stimme, die man als Nebelhorn verwenden konnte. Er war zufrieden mit seinem Reich auf Deck B, zufrieden mit seinem Leben auf dem Schiff, das seine eigentliche Heimat war – nicht die Wohnung in Bremerhaven, in der er sich
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