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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling
Autoren: Ellis Peters
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suspekten Ansichten geändert hat, die er hegte? Wir haben nicht untersucht, welcher Art sie waren, wie schwerwiegend, und ob sie jemals bereut und abgelegt wurden. Nur weil wir hier in England eine gesunde und kraftvolle Kirche haben, dürfen wir nicht glauben, daß die Gefahr des falschen Glaubens eine Sache der Vergangenheit ist. Habt Ihr nicht gehört, daß in Frankreich zuchtlose Priester unterwegs sind, die die Leichtgläubigen verführen, ihre eigenen Priester als habgierig und korrupt beschimpfen und die Riten der Kirche als Unsinn bezeichnen? Im Süden macht sich der Abt von Clairvaux große Sorgen wegen dieser falschen Propheten.«
    »Dennoch hat der Abt von Clairvaux selbst darauf hingewiesen«, warf Abt Radulfus ein, »daß das Versagen der Priesterschaft, ein Beispiel der Frömmigkeit und Schlichtheit zu geben, dazu beiträgt, daß sich die Menschen diesen abweichlerischen Sekten zuwenden. Auch die Kirche hat die Pflicht, ihre eigenen Unzulänglichkeiten abzulegen.«
    Wie alle Brüder hörte auch Cadfael mit gespitzten Ohren und wachsamen Augen zu und hoffte, daß dieser plötzliche Windstoß nachlassen und ebenso schnell wieder verschwinden würde. Radulfus würde keinem Besucher gestatten, in seinem eigenen Kapitelsaal seine Autorität an sich zu reißen; doch nicht einmal er konnte es einem Abgesandten des Erzbischofs verwehren, in Sachen der Lehre von seinem Mitspracherecht und seinem Urteil Gebrauch zu machen. Schon die Erwähnung von Bernhard von Clairvaux, dem Apostel des einfachen Lebens, war ein Hinweis auf den wachsenden Einfluß der Zisterzienser, denen Erzbischof Theobald sehr viel Sympathie entgegenbrachte. Und obwohl Bernhard die weitverbreitete Kritik an der Weltlichkeit vieler hoher Kirchenmänner aufgegriffen und die Rückkehr zur Armut und Einfachheit der Apostel gepredigt hatte, würde er nicht das geringste Mitleid mit einem Mann haben, der, was das Dogma anging, vom streng orthodoxen Pfad abwich. Radulfus mochte einem Verweis auf Bernhard ausweichen, indem er mit einem anderen konterte; aber er beeilte sich, das Thema zu wechseln, bevor er Gefahr lief, das Wortgefecht zu verlieren.
    »Hier ist Serlo«, sagte er schlicht, »der sich erinnert, was der Missionar des Erzbischofs gegen William einzuwenden hatte.
    Vielleicht weiß er auch noch, welches die strittigen Glaubensgrundsätze waren.«
    Dem zweifelnden Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu urteilen, wußte Serlo nicht recht, ob er sich über eine solche Gelegenheit freuen oder sie bedauern sollte. Er öffnete zögerlich den Mund, aber Radulfus gebot ihm Einhalt, indem er die Hand hob.
    »Wartet! Es ist nicht mehr als recht und billig, daß der einzige Mann, der über die Ansichten und den Glauben seines Herrn vor seinem Tode aussagen kann, anwesend sein sollte, um zu hören, was über ihn gesagt wird, und an seiner Statt zu antworten. Ohne eine gerechte Anhörung haben wir nicht das Recht, einem Mann die Gunst zu verweigern, die er erbeten hat. Bruder Denis, würdet Ihr gehen und den jungen Mann Elave auffordern, wieder vor dem Rat zu erscheinen?«
    »Mit Vergnügen«, sagte Bruder Denis und verließ den Raum mit derart entrüstetem Eifer, daß es nicht schwer war, seine Gedanken zu lesen.
    Elave kehrte nichtsahnend in den Kapitelsaal zurück; er erwartete die offizielle Antwort und zweifelte nicht daran, wie sie lauten würde. Sein energischer Schritt und seine zuversichtliche Miene sprachen für ihn. Er war nicht im geringsten gefaßt auf das, was kommen sollte, selbst dann noch nicht, als der Abt das Wort ergriff und seine Worte mit überlegter Mäßigung wählte.
    »Junger Mann, es hat hier eine Uneinigkeit über den Wunsch Eures Herrn gegeben. Es wurde gesagt, daß er, bevor er zu seiner Pilgerfahrt aufbrach, mit einem Abgesandten des Erzbischofs, der hier in Shrewsbury predigte, eine Meinungsverschiedenheit hatte und wegen bestimmter Ansichten getadelt wurde, weil diese nicht voll und ganz mit der Lehre der Kirche übereinstimmten. Es wurde sogar vermutet, daß ihm seine Pilgerreise als Buße auferlegt worden war. Wißt Ihr irgend etwas darüber? Es ist durchaus möglich, daß es Euch überhaupt nicht zu Ohren kam.«
    Elaves gerade Brauen, dick und braun, dunkler als sein Haar, zogen sich vor Verblüffung zusammen, aber noch nicht vor Beunruhigung.
    »Ich wußte, daß er über manche Glaubensartikel eingehend nachgedacht hat, aber mehr auch nicht. Ihn verlangte nach dieser Reise. Er wurde alt, war aber immer noch kräftig,
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