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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt
Autoren: Rita Maria Fust
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Poststraße sehen Sie noch mehr Inschriften. Als nach dem Brand neu gebaut wurde, hat man kleine Grundstücke zusammengelegt. So konnte man größer und imposanter bauen. Da vorne ist das Metzgeramtshaus der Zunft.« Overkamp weist mit der Hand auf das ihnen gegenüberliegende Gebäude.
    »Kann man da durchgehen?«, fragt Hinrich Jost Matthiesen überrascht.
    »Ja, die Dunkle Halle verläuft wie ein Tunnel ebenerdig durch das Haus, ganz offen. Auch einer dieser Pfade, von denen ich eben sprach. Dahinter liegt die Fleischhauerstraße«, erklärt der Lippstädter.
    »1574 steht über dem Durchgang des Hauses. 200 Jahre alt. Die hatten wohl Glück beim Stadtbrand«, stellt Matthiesen fest.
    »Nein, gar nicht«, berichtigt ihn Ferdinand Overkamp. »Das Vorgängerhaus wurde beim Brand völlig zerstört. Dieses größere Gebäude ist also nach 1656 8 erbaut, und der Zimmermann hat auf Wunsch der Metzgerzunft 1574 statt 1658 in den Balken geschrieben. Unten im Gebäude sind die Schlachtanlagen, die von den Metzgern genutzt werden, und oben sind der Amtssaal und die Amtsstube. Dort werden die Fleischpreise immer für ein Jahr festgesetzt.«
    »Ja, das ist bei uns auch so. Aber wieso will die Zunft ein falsches Baujahr im Balken über dem Durchgang haben?«, fragt der Lübecker.
    »Deren ›Nottuln‹, also die Satzung der Metzgerzunft, stammt aus dem Jahre 1574«, erläutert Ferdinand Overkamp das Verwirrspiel der Zunft. »Sie dachten wohl, es passe dann besser zusammen. Nottuln und Gebäude, beides aus einem Jahr.« Nachvollziehen kann Overkamp das nicht.
    »Es ist zuweilen schwierig mit den Zünften. Die begrenzten Aufnahmen …«, überlegt Hinrich Jost Matthiesen laut.
    »Ja, ein Metzger pro Jahr wird hier nur aufgenommen«, fällt ihm sein Freund ins Wort. »Das muss man sich mal vorstellen. Und er muss der Besitzer eines bebauten Grundstücks in Lippstadt sein.« Overkamp schüttelt den Kopf. Die Regeln der Zunft gefallen ihm nicht.
    »Bei Ihnen gibt es bestimmt auch ein Vorkaufsrecht für Ratsmitglieder und Bürger?« Hinrich Jost Matthiesen weiß, dass es in den meisten Städten auch so gehandhabt wird wie in Lübeck.
    »Ganz genau«, antwortet Ferdinand Overkamp. »Es wird überlegt, ob man nicht den Zunftzwang lockern sollte, damit mehr freie Meister in die Stadt kommen können.«
    »Warum ist das denn so wichtig?« Die Notwendigkeit erschließt sich dem Lübecker Gast nicht.
    »Lippstadt hat nur noch gut 2000 Einwohner. Vor dem Siebenjährigen Krieg und den vielen Toten der Seuchen waren es etwa 2500. 9 Es ist gut für unsere Stadt, wenn hier wieder mehr Menschen leben. Schauen Sie sich um, bei diesem desolaten Zustand der Straßen und Häuser wundert es nicht, wenn immer mehr Menschen abwandern und niemand zuzieht. Auch die Bautätigkeit lässt zu wünschen übrig. 10 Denken Sie nur an das Rathaus. Wir bräuchten ein Neues!«, wünscht sich Ferdinand Overkamp.
    »Was ist denn mit euren Straßen passiert, dass das Kieselsteinpflaster so defekt ist?«, erkundigt sich Matthiesen.
    »Im Siebenjährigen Krieg gab es unvorstellbar viele Transport- und Artilleriefuhren 11 der Besatzer. Oft waren in Lippstadt mehrere Tausend Mann in den Familien einquartiert. Und vor den Toren der Stadt waren in Feldlagern noch mehr Männer untergebracht. Da waren dann viel mehr Menschen zu versorgen als vor der Besatzung. Um nur ein Beispiel zu geben: 1200 Wagen kamen täglich, um Brot für die Armee zu holen. Sie fuhren zum Cappeltor hinein und, mit Brot beladen, zum Lippertor heraus . 12 Und sie waren nicht die Einzigen, die in Lippstadt ein- und ausfuhren. So einer Belastung hält kein Pflaster stand. Bei jedem Schritt muss man aufpassen, dass man nicht stürzt. Hoffentlich werden die Schäden bald ausgebessert. Schauen Sie sich lieber die schönen Fachwerkfassaden hier in der Poststraße an«, rät Ferdinand Overkamp seinem Besuch. Die schönen Seiten der Stadt sollen im Vordergrund stehen.
    »Die meisten Gebäude sind aus der Zeit nach dem Brand, oder?«, vergewissert sich Matthiesen.
    »Ja. Hier rechts auf der Ecke zur Langen Straße sehen Sie, wo Friedrich II. genächtigt hat: Es ist der Wohnsitz des preußischen Festungskommandanten Graf Retberg, 1720 gebaut. Oben soll ein Festsaal im Rokokostil sein«, berichtet Overkamp und fährt fort: »Wir gehen jetzt gen Süden die Lange Straße entlang. Dann zeige ich Ihnen gleich auch das Steinhaus, von dem ich eben sprach. Wie geht es eigentlich meiner Schwester? Erzählen Sie, lieber
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