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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt
Autoren: Rita Maria Fust
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und Geschäftsfreund Hinrich Jost Matthiesen nach Lippstadt einzuladen. Er hatte Weine bei ihm geordert und dieser Bestellung die schriftliche Bitte beigelegt, er, Matthiesen, möge ihn, Overkamp, in Lippstadt besuchen; es sei längst an der Zeit, einander kennen zu lernen, da man über zweierlei Wege – privat und geschäftlich – miteinander verbunden sei.
    Als Ferdinand Overkamp seiner Gemahlin und seiner Tochter mitteilte, dass er Matthiesen eingeladen hätte, damit dieser auf möglichst unverdächtige Art und Weise Elisabeth mit nach Lübeck nähme, brach Johanna in ihrer großen Verzweiflung in Tränen aus. Sie wollte ihre Tochter nicht verlieren, erkannte jedoch, dass es keine andere Möglichkeit gab. Elisabeth nahm die Entscheidung ihres Vater reglos hin. Auch als ihre Mutter sie nochmals anflehte, nun endlich den Vater preiszugeben, denn dann würde man sicherlich einen Weg finden, dass sie, Elisabeth, in Lippstadt bleiben könne. Ob sie das denn nicht wolle? Und wieder begann Elisabeth zu weinen und zu zittern, aber sie schwieg.

2ter Junij 1764
    Ferdinand Overkamp erwacht noch früher am Morgen als sonst. Heute wird sein Gast Matthiesen Lippstadt erreichen, ein paar Tage bleiben und dann Elisabeth mit nach Lübeck nehmen. Endlich. Dann wird langsam wieder Ruhe einkehren.
    Leise schleicht er nach unten und geht durch die Küche in den kleinen Kräutergarten. Die Luft ist immer noch sehr warm und erinnert an die große Hitze, unter der Lippstadt tagsüber leidet.
    Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Der sandige Boden ist ausgetrocknet, und selbst bei leichtem Wind weht der Staub durch die Straßen und Gassen. Auf jedem Sims und jedem Absatz liegt eine dicke Schicht. Die Wäscherinnen hört man tagsüber schimpfen, dass das Wasser der Lippe kaum noch zum Durchspülen der Kleidung reiche und die Wäsche schon beim Trocknen wieder staubig werde. Weiter flussabwärts haben auch die Gerber in der Schabegrube mit dem Niedrigwasser zu kämpfen.
    Overkamps Schläfen pochen und seine Augen tun ihm weh. Schon wieder plagen ihn diese unerträglichen Kopfschmerzen, die er beinahe täglich hat, seit er von Elisabeths Schwangerschaft weiß. Es quält ihn unermesslich, dass er seine Tochter fortschicken muss, doch es bleibt ihm keine andere Möglichkeit. Was sollten andernfalls die Leute denken?, fragt sich Overkamp immer und immer wieder. Was wird nur aus Elisabeth werden? Und was wird aus dem Kind? Nein, er durfte kein Mitgefühl zeigen. Er selbst hatte eine schöne Kindheit erlebt, trotz der unruhigen Zeiten, die Lippstadt hatte durchstehen müssen. Am Lippeufer, nahe dem Lipper Tor, hatte er mit anderen Jungen oft gespielt. Im Herbst warfen sie Stöcke in die Bäume, um die Kastanien zum Fallen zu bringen. Wie oft waren sie laut lachend vor den Alten geflohen, um dann schnell zurückzukehren? Das war lange vor dem Siebenjährigen Krieg gewesen, während die Festungswälle immer weiter ausgebaut wurden. Die Jungen heute kennen solche Spiele nicht mehr. Sie haben die vielen wechselnden Besatzer der Festung Lippstadt erlebt, die Franzosen, die Preußen und die Hannoveraner. Jahrelang waren sie und auch die Engländer bei den Familien einquartiert; eine große Belastung für die Lippstädter. Weder die Häuser noch die Stadt selbst boten genügend Platz für die Garnison; in manchen Zeiten waren es bis zu 5000 Mann. Und Brot brauchten alle. Die Stadt war über Jahre voller Mehlmagazine, um den hohen Bedarf zu decken. Selbst in den Kirchen-Gestühlen wurde Mehl gelagert. Später dann auch im Rathaus, in den Häusern der Ämter und sogar in Privathaushalten. Es wurden Feldbäckereien von den Franzosen eingerichtet, aber auch das reichte nicht aus. Die Besatzer nahmen zusätzlich auch die privaten Backöfen in Anspruch. 1 Mit der Zeit war das Holz knapp geworden, dass sogar Zäune und Planken verfeuert wurden. 2 Vor den Toren der Stadt waren auf einen Kanonenschuß von der Festung entfernt alle Hecken [und] Bäume auf Befehl der französischen Besatzer entfernt worden, um eine feindliche Annährung zu erschweren. 3 Holz gab es einfach nicht mehr in Lippstadt und so waren die Menschen Herzog Ferdinand von Braunschweig dankbar, dass er unmittelbar nach Friedensschluß der Stadt Bauholz zur Reparatur der Brücken, die mehrere Male abgebrochen oder verbrannt waren schenkte. 4 Auch die alten Kastanienbäume an der Lippe stehen nicht mehr. Wie schön wäre es, wenn dort wieder Kastanien gepflanzt würden, denkt Overkamp.
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