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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt
Autoren: Rita Maria Fust
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Hause in seinem Kontor sitzt. Vielleicht würde nicht einmal jemand hinter diesem armen Burschen herfragen. Vielleicht hat er keine Familie. Overkamps Blick bleibt an eisernen Granatenhülsen und Zündschnüren hängen, die anscheinend einfach so in eine Ecke geworfen wurden, weil sie niemand mehr benötigte. Der Krieg ist schließlich vorbei.
    Als Geschäftsmann und Ratsmitglied ist Ferdinand Overkamp mit solcherlei Dingen nicht vertraut. Kann man mit einer Zündschnur das Pulver zum Explodieren bringen? Und wie lange dauert das? Schafft er es, in der Zeit, die die Lunte ihrem Ziel entgegenglüht, nach Hause zu laufen? Er muss unbedingt in Sicherheit sein, und wenn dann noch jemand bei ihm ist, der zur Not bezeugen kann, dass er, Overkamp, tatsächlich Zuhause war, dann ist alles gut. Wieder gut.
    Dieser verlockende Gedanke lässt Overkamp schnell handeln. Er rollt einen Teil der Zündschnur ab und wirft ein Ende so weit wie es ihm möglich ist zwischen das lose Pulver. Das andere legt er nahe des Ausgangs auf den Boden. Vorsichtshalber zieht er nun den toten Burschen näher an die Pulvervorräte, denn ob und wie diese in die Luft fliegen werden, ist Overkamp nicht bekannt.
    Womit soll er die Zündschnur anstecken? Woher Glut oder gar Feuer nehmen? Er sieht sich um. Nirgends sind Feuersteine und Zunder zu sehen. Das wäre auch purer Leichtsinn. Aber jetzt bräuchte er es so dringend. Overkamp rennt Hals über Kopf los. Zuhause im Herd ist immer mindestens ein Glutbett, wenn nicht gar ein ordentliches Feuer. Er läuft hastig die Lange Straße entlang, Poststraße, Kirchgasse und stürzt durch sein Kontor in die Küche. Zum Glück ist niemand im Raum. Kurzerhand nimmt er sich eine dieser großen Emailletassen, öffnet die Luke am Herd und füllt Glut in die Tasse. Wie schnell der Griff heiß wird! Wo ist ein Lappen? Overkamp nimmt sich ein Trockentuch, eines von den guten mit Monogramm und wickelt es um den Griff, sodass kaum zu erkennen ist, was er in der Hand hält. Im Kontor greift er sich noch schnell eine Kerze; einen von diesen dicken Stumpen, die Johanna gar nicht mag. Overkamp rennt zurück. Zwei- oder dreimal verliert er ein Stückchen Glut auf der Langen Straße.
    Als Overkamp im Schuppen ist, fällt ihm ein Stein vom Herzen, dass der Bursche immer noch unverändert neben dem Pulver liegt. Er stellt die Gluttasse auf den Boden und muss erst mal wieder zu Luft kommen. Er beugt sich vorne rüber und stemmt die Hände auf die Beine.
    Draußen bellt ein Hund. Kommt jemand? Overkamp lugt durch den Ausgang. Niemand ist zu sehen. Er sollte sich lieber beeilen, mahnt er sich selbst. Er hat keine Zeit zu verlieren. Gleich kommt auch noch sein Besuch aus Lübeck.
    Das Ende der Zündschnur hält er in die Glut, sie soll brennen. Warum dauert es so lange? Die Zündschnur will kein Feuer fangen. Vielleicht ist sie feucht? Overkamp pustet leicht in die Glut, die augenblicklich tiefer zu glühen beginnt. Doch der Funke springt nicht über! Diese vermaledeite Glut! Er greift zur Kerze und hält den Docht in die Glut. In Sekundenschnelle fängt dieser Feuer. Die Kerze brennt. Auch gut, denkt Overkamp und stellt den Stumpen inmitten des Pulvers. Es ist hoch gefährlich, weiß Overkamp. Sein Herz schlägt ihm vor Angst und Aufregung bis zum Hals. Overkamp hält die Luft an, um das Pulver nicht aufzuwirbeln und ragt loses Pulver um die Kerze. Wenn diese umfällt oder abgebrannt ist, fängt das Pulver Feuer und explodiert. Overkamp rennt, als sei der Teufel hinter ihm her – auch, weil er sich keinerlei Vorstellung machen kann, wie lange es nun dauern wird, bis der Schuppen explodiert. Dann werden alle denken, dass der Bursche selbst mit dem Feuer gespielt hat, was ja im übertragenen Sinne auch gar nicht falsch ist, und dann hat er sich selbst in die Luft gesprengt.
    Overkamp merkt, wie eine immer größer werdende Angst in ihm aufsteigt.
    Zuhause angekommen, wäscht er sich mehrmals Hände und Gesicht, zieht sich frische Kleidung an und erfährt von seinem Diener, dass die Waren, die Hinrich Jost Matthiesen aus Lübeck mitbringen sollte, bereits im Kontor eingetroffen sind. Der Lübecker Kutscher habe bestellt, dass sein Herr zu Pferde in etwa einer Stunde in Lippstadt ankommen werde. Diese sei aber bereits fast um, meint der Kaufmannsdiener und erhält von Overkamp den Auftrag, das Glas der Flaschen und die Aufschriften zu sichten. Ferdinand Overkamp macht sich umgehend auf den Weg Richtung Lipper Tor, um seinen Lübecker
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