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Der Kaufmann von Lippstadt

Der Kaufmann von Lippstadt

Titel: Der Kaufmann von Lippstadt
Autoren: Rita Maria Fust
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nein, ruft sich Overkamp zur Räson, nein, mit so einem kann er seine Tochter auf keinen Fall verheiraten. Das kommt nicht in Frage. Aber sich einfach so aus dem Staub zu machen, gehört sich nicht. Der Bursche will sich vor der Verantwortung drücken! Ein Feigling, ein dreckiger Feigling, der seiner Elisabeth etwas Unschickliches angetan hat. Dass sie sich freiwillig mit so einem eingelassen haben soll, kann Overkamp nicht glauben. Für ein Mädchen ist Elisabeth recht gebildet, sie kann nicht nur lesen und schreiben. Das alles passt so gar nicht zusammen, und doch scheint es so gewesen zu sein.
    Als der Bursche kurz vor dem Süder Tor Richtung Bastion III abbiegt, beschließt Overkamp, diesen Kerl zur Rede zu stellen. Ein paar schnelle Schritte, und schon ist er neben dem Burschen. Dieser blickt ihn erschrocken an.
    »Wer bist du«, bricht es viel zu laut aus Overkamp hervor.
    »Wer will das wissen?«, entgegnet der Bursche respektlos.
    »Antworte!«
    »Ich bin Johann«, antwortet der Bursche.
    »Was hast du mit meiner Tochter zu schaffen. Was hast du ihr angetan?«
    »Wenn Sie feiner Herr nicht wissen, was Ihr Fräulein Tochter so treibt …«
    Overkamp greift den Burschen an dessen Kragen und will ihm deutlich zu verstehen geben, wie ein Bursche niederen Standes mit einem Herrn wie ihm, Overkamp, zu sprechen hat, da stolpert der Bursche über seine eigenen Beine und stürzt zu Boden. Es fehlte nicht viel und Overkamp hätte mit dem Burschen im Dreck gelegen. Nicht auszudenken, wenn das jemand gesehen hätte! Es schickt sich einfach nicht. Schlimm genug, dass er sich überhaupt hier auf offener Straße mit so jemandem abgibt. Abgeben muss! Aber zu so früher Stunde ist noch nicht viel los auf den Straßen Lippstadts. Alle gehen ihren Arbeiten nach.
    Wieso steht der Bursche nicht wieder auf?
    »Steh auf«, fordert Overkamp.
    Der Bursche rührt sich nicht.
    »Los! Aufstehen!!!«
    Keine Regung. Und die Augen des Burschen sind so merkwürdig geöffnet. Weit aufgerissen und doch ohne Blick. Der Bursche muss von der Straße, bevor jemand sieht, was geschehen ist. Ja, was ist geschehen? Wo kann er mit dem Burschen hin? In die Jacobikirche? Nein, das ist zu weit. Sollte er irgendwo klopfen? Nein, besser nicht. Er könnte den Burschen aus der Stadt schaffen. Da vorne ist das Süder Tor. Und dann? Keine gute Lösung. Der Schuppen in der Nähe der Bastion III. Da zieht er den Burschen hin. Die Fersen des Jungen hinterlassen auf dem trockenen Boden Schleifspuren. Mal gut, dass die Lippstädter diesen Schuppen nicht so verschließen, wie sie sollten. Overkamp muss lediglich zwei Bretter auseinander schieben, schon kommt er in den Schuppen. Drinnen legt er den Burschen auf den Rücken. Was ist nun zu tun? Was würde Dr. Buddeus machen? Puls fühlen. Ja, Dr. Buddeus fasst dann immer an den Hals und auch mal ans Handgelenk. Dort fühlt man dann ein Pochen. Das erinnert Overkamp an seinen Kopfschmerz und schon fühlt er diesen stärker als zuvor. Mit Ekel fasst er dem Burschen an dessen dreckigen Hals und findet keinen Puls. Auch am Handgelenk findet er nichts. Der Blick ist immer noch starr und ohne Leben. Der Bursche ist tot! Unglücklich gestürzt. Er sollte Dr. Buddeus holen. Schließlich kann er, Overkamp, erklären, dass es ein Unfall war. Auch Dr. Buddeus wird feststellen, dass Overkamp dem Burschen kein Haar gekrümmt hat. Ja. Dr. Buddeus muss her! Doch nein, wie sollte er, Overkamp, erklären, was er mit dem Burschen zu schaffen hat? Er konnte schließlich nicht sagen, dass dieser Junge der Vater des ungeborenen Kindes ist. Er kann es auch selbst immer noch nicht glauben. Wie soll er all das erklären? Und warum hat er nicht sofort nach Dr. Buddeus gerufen, noch auf offener Straße? Warum kommt er erst hier in der Abgeschiedenheit auf diesen Gedanken? Kurzschlusshandlung. Könnte er doch den Burschen einfach in Luft auflösen, so als sei nie etwas geschehen! Einfach weg. Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch wie?
    Da erst wird Ferdinand Overkamp wirklich bewusst, wo er sich befindet. Im Munitionsschuppen. Er ist umgeben von Pulver, das seit Ende des Siebenjährigen Krieges hier gelagert wird, weil niemand so recht weiß, was nun damit zu tun ist. Es bräuchte nur zu explodieren und schon wäre er aller Sorgen ledig. Doch wie? Er darf sich nicht selbst in Gefahr bringen, schließlich hat er noch Großes vor in Lippstadt, und er hat eine Familie zu versorgen. Am besten flöge hier alles in die Luft, wenn er längst wieder zu
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