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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Autoren: Oliver Bottini
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Augen zusammenkneifen. Unsicher lief sie durch einen Irrgarten aus Dunkelheit und Helligkeit, die Menschen Schatten ohne Gesichter.
    Die Angst kam spät.
    Erst auf halber Strecke zur Pekarnica am Trg Bana Jelačića wurde ihr bewusst, dass sie vielleicht ihr Leben riskierte. Marković’ Killer hatten in den vergangenen Tagen zwei Menschen ermordet.
    Sie langte nach der Pistole. Vori hatte ihr erklärt, was sie zu tun hatte, wenn sie schießen musste. Es kam ihr nicht sonderlich schwierig vor. Abgesehen davon natürlich, dass sie nicht wusste, ob sie auf einen Menschen schießen konnte.
    Nicht nachdenken, hatte er gesagt. Einfach abdrücken.
    Sie kaufte ein Käse-Burek, aß hastig an einem der Stehtische.
    Der Rückweg war unendlich lang, obwohl sie schneller ging, die Hand wieder an der Pistole.
    Sie hatte ihr Haus eben erreicht, wollte in den Durchgang zum Hof, als sie auf der anderen Straßenseite Zvonimir stehen sah, Marković’ Leibwächter. Er blickte herüber, die Hände auf dem Rücken, tat nichts. Starrte sie nur an.
    Sie eilte in den Durchgang, ins Treppenhaus hinein, riss die Pistole aus der Tasche. Das alte Holz knarzte unter ihren Schritten, an den Marmorwänden hallten die Geräusche wider. Falls Marković in ihrer Wohnung wartete, musste er sie längst gehört haben.
    Im ersten Stock hielt sie inne. Ihr Puls raste, ihr Herz schlug heftig. Eine dumme Idee, dachte sie, in die Wohnung zu gehen. Marković war sicher nicht allein.
    Warte auf Vori, dachte sie. Auf G.
    Lautlos ging sie zum dreiflügeligen Fenster. Zvonimir hatte sich nicht von der Stelle bewegt, wäre da, falls ihr die Flucht aus der Wohnung gelang.
    Sie ließ sich auf den Boden sinken, umschlang die Beine, lehnte sich gegen die holzvertäfelte Wand. Ihr Blick fiel auf die Pistole, plötzlich kam sie sich lächerlich vor. Eine Pistole in der Hand.
    Ein paar Minuten verstrichen. Das Gebäude knarrte und ächzte, durch die Wohnungstür neben ihr drang eine laute Frauenstimme, ein kurzes Telefonat, ein wütender Abschiedsfluch.
    Sie lauschte auf Geräusche über sich, aus dem zweiten Stock.
    Nichts.
    Da klingelte ihr Telefon.
    Auf dem Display stand Irena Lakić .
    »Irena?«
    Stille.
    Dann flüsterte Irena: »Du musst herkommen.«
    Ein Mann nahm sie in Empfang. Er stellte sich vor, sie verstand kein Wort und nickte nur. Sie folgte ihm durch die Eingangshalle, dann einen schmalen, hohen Flur hinunter. Er ging ihr zu langsam und gleichzeitig zu schnell. Sprach mit ihr, doch sie verstand ihn nicht, hörte seine Stimme nur als ferne, tiefe Melodie. Ein süßlich-stechender Geruch lag in der Luft, der immer stärker wurde, je tiefer sie in das Gebäude gelangten. Sie kannte den Geruch aus Tokio und Buenos Aires.
    Formaldehyd.
    Die Schritte des Mannes wurden langsamer, als wollte er gleich stehen bleiben, obwohl sie an allen Türen vorbei waren, nur eine lag noch vor ihnen, weit weg am Ende des Ganges. Sie wies darauf, und weil alle kroatischen Wörter in ihrem Kopf blockiert waren, sagte sie: »There?«
    Der Mann nickte und machte eine Bewegung mit der Hand. »Left side.«
    Sie ging schneller.
    An der Tür wandte sie sich um. Er war verschwunden.
    Sie betrat einen großen Raum, von dem zahlreiche weitere Türen abgingen. Auf der linken Seite befand sich nur eine.
    Sie öffnete sie.
    Ein kleines, bunkerartiges Zimmer, leer bis auf einen Stuhl und eine Bahre. Auf dem Stuhl saß hoch aufgerichtet Irena, auf der Bahre lag Vori. Ein Laken verhüllte seinen Körper, ließ nur den Kopf frei.
    Er war sehr blass. Die Haare kamen ihr dunkler vor als sonst.
    Sie waren feucht.
    Jetzt drang ein Satz des Mannes, der sie hergeführt hatte, in ihr Bewusstsein. Er ist beim Schwimmen in der Save ertrunken.
    Sie trat an die Bahre. Wollte ihn berühren, konnte nicht.
    Kroatischer Journalist ermordet, dachte sie.
    Kroatiens bekanntester Kriegsverbrecherjäger ermordet.
    Unfall oder Mord?
    G., dachte sie.
    Sie wandte sich um, begegnete Irenas starrem Blick. Deine Schuld, sagte der Blick.
    Sie senkte die Augen. Ging.

55
    SAMSTAG, 16. OKTOBER 2010
    BERLIN
    Mate Sjelo kam zu Fuß.
    Die Hände in den Jackentaschen, ging er über das Parkdeck. Er hatte den Kragen hochgeschlagen, trug ein Basecap. Der Regen schien ihn nicht zu kümmern.
    Thomas Ćavar sah ihm durch die Heckscheibe entgegen.
    »Bist du sicher?«, fragte Igor.
    »Ja«, erwiderte Jordan.
    »Man erkennt nichts.«
    »Der Gang. Niemand geht so ruhig wie Mate Sjelo.«
    Jordan hatte recht. Noch nie hatte Thomas
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