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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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Bewegungen den Raum zu erkunden,
     um ein passendes Paar Stiefel zu finden. Seine Finger befühlten weiches Leder, hartes, aufgeschürftes, zerrissenes. Ungeduld
     stieg langsam in ihm auf, da entdeckte er ein Stiefelpaar, das ihm zusagte und seinen Füßen entsprechen konnte. Er zog es
     nicht an, sondern schob es sich unter die Kleidung, wo er es mit dem Strick festklemmte.
    Nachdem er das Haus des Schuhflickers verlassen hatte, wandte er sich zwei tief in den Boden eingegrabenen Lagerhütten zu
     und holte aus der einen ein Fell, das ihn wärmen würde, aus der anderen Käse, Nüsse und gesalzene Fische. Proviant.
    Gerade trat er aus dem Schatten des letzten Hauses, um die Ansiedlung mit seiner Beute zu verlassen, da hörte er hinter sich
     eine spöttische Frauenstimme: »Na, schon wieder in die Büsche, Eckhard?«
    Eckhard? Für immer, meine Liebste,
dachte er und biß sich auf die Unterlippe. Glücklicherweise war Neumond, so verbarg die Finsternis sein breites Grinsen.

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    |22| 2. Kapitel
    Von der höchsten Turmspitze aus betrachtet, war Turin eine wunderschöne Stadt. Im Norden und Osten donnerten die weißen Klüfte
     der Alpen in die Höhe, im Süden und Westen glitzerten Sonnenfunken in den Kurven des Flusses Po. Dazwischen bahnten sich durch
     fruchtbares Hügelland Straßen zu den vier Toren der Ummauerung. Innerhalb der Stadtmauern Turins schließlich befand sich ein
     riesiger Garten, so wirkte es, in den die Häuser hineingestreut waren.
    Ein Besuch auf ebener Erde vermittelte einen ganz anderen Eindruck. Die breiten Römerstraßen, die nach Turin führten, waren
     lange Zeit nicht ausgebessert worden und so schadhaft, daß die meisten Händler auf den Fluß ausgewichen waren und ihre Güter
     nicht mehr mit Pferde- und Ochsenkarren, sondern mit Kähnen, Booten und Schiffen bewegten.
    Es gab kaum noch wirklich intakte Steingebäude in der Stadt. Hunderte von Menschen lebten in Holzschuppen und hatten Nutzgärten
     zwischen den Ruinen römischer Prunkvillen angelegt, um ihren kargen Mittagstisch ab und an ein wenig bereichern zu können.
     Wo kein Garten war, schüttete man die Abfälle hin, wenn nicht der Eimer direkt auf die Straße entleert wurde. An heißen Tagen
     war der saure Geruch der Küchenabfälle so beißend, daß auch hartgesottene Turiner ihn nicht leugnen konnten.
    Längs der großen Straßen sah man Häuser mit Steinfundament und zwei hölzernen Stockwerken. Im Schatten ihrer Höfe verbargen
     sie ähnliche Gärten wie die der Armen, dazu einen Stall, einige Wirtschaftsgebäude. Wer hier |23| wohnte, besaß mit Sicherheit ausgedehnte Weideflächen und Weinberge gleich vor der Stadtmauer.
    Zwei Anwesen allerdings hatten den Prunk der Jahrhunderte bewahren können. Der Palast des Grafen mit dem dazugehörigen Hof
     ruhte im Südosten Turins. Hier hatte es niemand gewagt, Steine als Baumaterial herauszubrechen, und wenn die kräftigen Wände
     doch gebröckelt waren, hatte man sie so gut nachgebessert, daß kein Schaden mehr zu sehen war. Kräftig und von der Zeit unangetastet,
     thronte der Steinpalast über schwachen, hölzernen Neubauten.
    Sein Gegenstück, nicht ganz so hoch, aber breiter gebaut, fand sich am anderen Ende der Stadt. Unweit des Prätorianertors
     lag dort der Bischofspalast. Niemand hatte Mauern aus Lehm in die großen Säle eingezogen, damit sie mehrere Familien beherbergen
     konnten, oder nach und nach die Wände abgebrochen, um daraus Fundamente für neue Häuser zu errichten. Seit Jahrhunderten beschienen
     Sonne und Mond dasselbe unveränderte Gebäude.
     
    Biterolf betrat ungern den Speisesaal. Er konnte sich kaum eines Tages erinnern, an dem er seine Mahlzeit in Frieden eingenommen
     hatte. Besser war es, wenn er gerade rechtzeitig für das Tischgebet kam und verschwand, während er noch am letzten Bissen
     kaute. Es machte keinen Unterschied, wo an der langen Holztafel er Platz nahm; immer saß ein Spötter in seiner Nähe. Wäre
     es nicht unsittlich gewesen, hätte er sich zum Essen gern eine Kapuze über den Kopf gestreift.
    Es war ein warmer Tag; die sanfte Frühlingsluft streichelte die Vorhänge der acht Fenster des Speisesaals, und Biterolf spürte
     sofort die muntere Stimmung der bischöflichen Dienstleute. Für das Tischgebet herrschte Stille, dann setzte das Geplauder
     wieder ein. Biterolf begegnete den Augen von Thomas, dem Kellermeister. Er war einer der Schlimmsten, und das gehässig-frohe
     Funkeln in seinem Blick verriet |24| Biterolf,
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