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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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kann mit seinem Feld kaum die Familie ernähren?«
    »Zu viele Fragen für einen müden Wanderer.«
    Eine längere Pause folgte, bis der Wirt zwei Krüge brachte, und nachdem beide getrunken hatten, erhob sich Otmar, ging zu
     seinem Platz am Tisch und holte einen großen Ledersack. Er langte hinein und hob zwei Wolfsfelle heraus. »Wickelt Euch das
     hier um die Stiefel. Wartet, ich habe Hanfseile.« Er wühlte erneut.
    Germunt nahm die Felle und Seile entgegen. Dann zog er seine Stiefel an und legte mit geschickten Handgriffen die Felle zurecht.
     Seine Finger spielten, zauberten, und bald waren die zwei Wolfsfelle mit Stricken gezwungen, sich völlig an seine Stiefel
     anzuschmiegen.
    »Ihr seid geschickt.« Otmar nickte anerkennend. »Wißt Ihr, ich könnte jemanden gebrauchen, der mit mir Wolfsfallen baut. Könntet
     Ihr Euch vorstellen, mir bei der Jagd zu helfen, anstatt Wald für einen Acker zu roden?« Einen Moment lang lag ein Funkeln
     in den Augen des Jägers.
    »Könnte Eure Jagd zwei Männer ernähren?«
    »Nun, der Graf zahlt leidlich, damit ihm die Wölfe nicht das Land kahlfressen. Ich wäre bereit, mit Euch zu teilen. Es ist
     keine Freude, so allein durch die Wälder zu ziehen.«
    »Laßt mich nachdenken.«
    »Könnt Ihr mit Pfeil und Bogen umgehen?«
    »Nein.«
    »Ich könnte es Euch beibringen. Wenn Eure Augen annähernd so gut sind wie Eure Hände, werdet Ihr ein guter Jagdgehilfe.«
    »Wartet. Wo soll es hingehen?«
    »Immer weit entfernt von größeren Orten. Sorgt Euch nicht.«
    Germunt sah auf.
    »Kommt, nehmt ein Stück Rebhuhn. Wenn wir es länger |15| über dem Feuer hängen lassen, schmeckt es wie eine alte Ziege.«
    Dankbar bediente sich Germunt an dem heißen Fleisch und aß. In seinen dunkelblonden, zerzausten Haaren waren die Eiskristalle
     geschmolzen. Er war müde und schloß beim Kauen genießerisch die Augen. Otmar sah ihm wohlwollend zu. Plötzlich hielt Germunt
     inne. Der Atem stockte ihm, seine hellbraunen Eulenaugen waren weit aufgerissen, die Hände mitten in der Bewegung erstarrt.
    »Stimmt was nicht?«
    Germunt antwortete nicht. Seine Schläfen pulsierten. Er bewegte sich ruckhaft und erstarrte abermals, um zu lauschen. »Ich
     muß fort.«
    Er warf das Rebhuhnstück in die Feuerstelle, wo es einen Funkenregen bewirkte, und stürzte zum Fenster. Hastig löste er die
     Riegel, öffnete den hölzernen Laden einen kleinen Spalt. Jetzt war es deutlich zu hören. Ein Pferdewiehern.
    »Ihr seid kaum aufgewärmt und braucht ein wenig Schlaf. Wenn Ihr möchtet –«
    Germunt lief zum Wolfsjäger hinüber und drückte ihm eine Münze aus dem Säckchen in die Hand. »Ich danke Euch. Für die Felle,
     für Euer Angebot.«
    »Wenn Ihr es annehmen wollt, ich bin die nächsten Tage hier.«
    Germunt nickte, lief dann zur anderen Seite des Raumes, trat den Fensterladen mit dem Fuß auf und sprang hinaus.
     
    Er lief, bis ihm die Lungen zu zerreißen drohten.
Sie sind mir also bis hierhin gefolgt. In die verschneite Wildnis.
Er hielt an, um zu verschnaufen, stützte den vorgebeugten Oberkörper an einem Baum ab. Als er sich umdrehte, konnte er seine
     Fußspuren im Schnee erkennen, eine lange Kette.
Na wunderbar. Ich hätte genausogut dem Wirt eine Wegbeschreibung geben können.
    »Schnee, Gott, Schnee vom Himmel!« keuchte er. »Aber |16| du hast mich ja längst aufgegeben.« Er selbst hatte sich noch nicht aufgegeben und lief weiter. Seine fellumwickelten Füße
     waren von weißen Gewichten beschwert. Jedesmal, wenn er sie abschüttelte, hingen nach wenigen Schritten neue daran, also nahm
     er sie hin. Manchmal blieb er stehen, weil er sich einbildete, noch ein weiteres Geräusch als das Knarren seiner Schritte
     zu vernehmen: Verfolgerfüße. Doch es blieb still, so still, daß er müde wurde. Es kostete ihn große Überwindungskraft weiterzulaufen.
    Nach einiger Zeit fiel Germunt in den federnden Gang, den er sich in den letzten Wochen angewöhnt hatte. Er sah beim Laufen
     dem dichten Nebel nach, den jeder Atemzug aus seinem Mund preßte, dann blickte er an sich hinunter. Mager war er. Aber sein
     Körper war sehnig und ausdauernd. Schon bald beruhigte sich der Herzschlag, und auch das Stechen in der Brust verschwand.
     Gefährlich war die Kälte, nichts anderes. Er fühlte sie nicht mehr. Immer wieder mußte er sich daran erinnern, daß die weiße
     Decke nicht nur weich, sondern auch todbringend kalt war.
    Zwei Tage lang hielten ihn Wille und Überlebensdrang in Bewegung. Dann
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