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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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an der Seite und vollständig in dunkles, abgewetztes Leder gekleidet. Seine Augen blickten ernst. Fast meinte Germunt, in
     ihnen einen schmalen Riß von Bedauern zu entdecken.
    |19| »Ich muß über die Berge.«
    »Hört, Germunt, ich bewundere Euren Mut. Aber es ist Winter, die Pässe sind vereist. Schnee macht die schmalen Wege unsicher,
     und die Quellen sind zugefroren. Niemand reist im Winter über die Alpen.«
    »Ich schon.«
    »Das ist Irrsinn! Selbst Könige warten auf den Frühling, wenn sie das Gebirge überqueren wollen.«
    Eine Weile schwiegen sie, standen einfach da. Germunts Stimme klang seltsam rauh, als er schließlich sagte: »Ich hab nichts
     zu verlieren. Mein Leben ist auf dieser Seite der Berge nichts wert.«
    »Als Ihr den ›Blinden Acker‹ verlassen hattet, kamen vier rothaarige Edle angeritten. Reichverzierte Schwerter, Stiefel aus
     feinstem Leder. Sie haben sich erkundigt –«
    »Ich weiß. Hat der Wirt was verraten?«
    »Marellus? Sein Großvater besaß einst viele Äcker, Wiesen, Mühlen und sogar einige Webhütten. Fränkische Herren, genau wie
     diese Häscher, haben alles zerstört oder an sich gerissen. Er hat für das Pack nicht viel übrig.«
    »Und Ihr?«
    »Ich arbeite für den Grafen. Das heißt aber nichts. Muß ich mich denn an jede Begegnung erinnern? Es gab ein Rebhuhn zu genießen.«
    »Ich danke Euch.«
    »Hört, warum wollt Ihr nicht mit mir ziehen? Ihr müßt nicht über die Berge, im Wald wird Euch auch niemand finden. Was immer
     Ihr getan habt, ich werde Euch nicht danach fragen.«
    »Die Brüder der Irene finden mich. Nur wenn ich über die Berge komme, werde ich frei sein. Sie glauben nicht, daß man sie
     im Winter überqueren kann.«
    »Und das zu Recht, Germunt. Selbst die Räuberhorden …«
    »Ich habe Euch nicht um Rat gebeten. Laßt mich meinen Weg gehen.« Germunt sah zur Seite, dann ging er an |20| Otmar vorbei. Nach einem Dutzend Schritte hörte er ihn hinter sich rufen: »Ihr müßt über den Cenisberg, dort gibt es einen
     Paß. Gott schütze Euch, Germunt.«
    Er blieb stehen und hielt den Atem an. Ohne sich umzudrehen, antwortete Germunt laut: »Gott schütze auch Euch, Otmar.«
     
    Am Fuß der Berge stieß Germunt auf einen Pfad, der ihn zu einem Fronhof von beachtlicher Größe führte. Eine eigene Kirche
     gab es, die von elf Häusern und Hütten umgeben war. Alles Land ringsumher gehörte dem Fronherrn, wie man ihm erzählte, und
     von sieben Bauerngehöften erhielt er Abgaben. Da Germunt wenig sprach, lagen ihm die Bauersfrauen mit ihren Klagen in den
     Ohren. Ihre Männer müßten so oft im Jahr Mergel ausfahren, beschwerten sie sich. Das habe es früher nie gegeben. Und überhaupt
     werde die Arbeit immer mehr, und das meiste bliebe an ihnen hängen.
    Sobald er gehen konnte, ohne sie zu kränken, zog sich Germunt in den Wald zurück. Aus dem Eiswasser eines kleinen Baches schaufelte
     er schwarzen Lehm, mit dem er sich Gesicht und Hände färbte. Auch die Wolfsfelle band er sich von den Füßen, zog die Stiefel
     aus und rieb sich bis zu den Knien mit der dunklen Masse ein. Eines der Hanfseile, die die Felle gehalten hatten, knüpfte
     er sich unter dem Hemd um den Bauch.
    Die Nacht tauchte den Hof in Finsternis, als Germunt auf bloßen Füßen aus dem Wald schlich. Er hielt unter den letzten Bäumen
     noch einen Moment an und suchte die Ansiedlung mit den Augen ab: Kein Wächter war zu sehen. Lautlos flog Germunt zwischen
     die Häuser. An der Tür eines Schuhflickers, den er am Tage beobachtet hatte, schloß er die Augen und lauschte. Er gab sich
     nicht mit der Feststellung zufrieden, daß die Atemzüge eines Schlafenden zu hören waren, sondern achtete genau auf ihre Regelmäßigkeit,
     ihre Länge. Dann schob Germunt die Tür auf und glitt durch den Spalt in den finsteren Raum.
    |21| Kaum hatte er die Tür wieder geschlossen, fing der Schlafende an, zu schlucken und nach Luft zu japsen. Germunt erstarrte;
     längere Zeit rührte er nicht einmal den kleinen Finger, verlagerte auch nicht das Gewicht von einem Bein aufs andere, stand
     einfach still. Er atmete so leise, wie Wind durch ein Spinnennetz weht. Innerlich allerdings erstickte er beinahe an dem Schmerz
     in seiner Brust, der ihm ein Keuchen abnötigen wollte.
    Endlich hatte der Schuhflicker zu ruhigem Schlaf zurückgefunden. Gierig atmete Germunt ein und blies die Luft langsam wieder
     aus; ein Zittern lief durch seine Arme und Beine. Dann begann er, mit sanften, lautlosen
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