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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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Germunt blieb stehen und schloß die Augen.
›Was ist geschehen?‹ hat sie damals gefragt und mit den Fingerspitzen meine Stirn gestreichelt.
    |418|
Gehe ich ohne ein Wort?
fragte er sich.
    Germunt wandte sich um. Noch immer kauerte sie vor dem Sennerhaus.
Sie muß mich gehört haben.
Er würde es sich nicht verzeihen, wenn er jetzt ohne Abschied ging. Er lief langsam, bis er hinter ihr stand.
    Stilla erhob sich und ging zum Haus. Vor der Tür blieb sie stehen. Ohne sich umzudrehen, fragte sie: »Ihr kommt aus dem Süden,
     nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und möchtet wieder den Rückweg antreten.«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Könnt Ihr mir von meinem Geliebten berichten? Will er heimkehren?«
    »Er möchte nichts sehnlicher.«
    Sie schwiegen.
    »Und Ihr, seid Ihr meiner Geliebten begegnet? Wartet sie noch auf mich?«
    »Sie wartet jeden Tag. Und sie ist wütend auf sich selbst, daß sie ihm einen solchen Abschied gemacht hat.«
    Germunt fühlte sich, als flöge um ihn ein Schwarm Vögel auf, der ihn emportrug. Als es wieder still wurde in ihm, ging er
     mit kleinen Schritten auf Stilla zu. Er trat hinter sie, legte sanft seine linke Hand an ihre Hüfte. Stilla drehte sich um.
     Dann fanden, zart über sein Gesicht tastend, ihre Lippen die seinen.
    Germunts Rechte öffnete sich. Der Weinstock fiel zu Boden.

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    |419| Nachwort
    Am Morgen nach dem Schaugericht fand Godeoch den Tod durch den Strick, aufgehängt an einem blätterlosen, kranken Baum an der
     Straße nach Pavia. Es war niemandem gestattet, ihn herunterzunehmen, bis er von selbst herabfiel. Suppos Sohn Mauring wurde
     vorläufig ins Grafenamt von Turin eingesetzt und kurze Zeit später vom Kaiser bestätigt.
    Theodemir ließ sich von Claudius’ Verteidigungsschrift nicht umstimmen; er sendete sie umgehend an den kaiserlichen Hof, von
     wo aus sie zur Widerlegung an Dungalus von Pavia und Jonas von Orléans gelangte.
    Stilla und Germunt blieben bei den Sennern in den Bergen. Ein dutzendmal reisten sie nach Turin, bald auch begleitet von den
     ersten Kindern, und bereiteten Biterolf, Odo und Claudius große Freude. Der Bischof segnete bei jedem Besuch die Kinder, und
     er bestand darauf, dies jeweils unter einem eindrucksvollen Baum zu tun: einer vom Blitz gespaltenen Eiche, einer einzelnen
     Kastanie am Waldrand, einer besonders breit ausladenden Buche.
    Germunt erhielt Claudius’ neue Schriften. An langen Abenden verfertigte er im Haus der Senner beim Licht eines einfachen Talglichtes
     Abschriften davon und verbarg sie in einer Felsspalte nahe beim Sennerhof.
    Bis zu seinem Tod blieb Claudius Bischof von Turin. Er löste heftigen Streit unter den Klugen des Kaiserreiches aus, wurde
     aber nie müde, seine Erkenntnisse zu verteidigen, und fand zu einer bemerkenswerten Art von Humor, mit der er den Zugang zu
     den grundlegendsten Fragen der Kirche und des Glaubens öffnete. Obwohl seine Ansichten denen der |420| Theologen seiner Zeit völlig entgegenstanden, wagte man es nicht, ihn auszuschließen oder zu verdammen.
    Er sah Adia nie wieder. Allerdings entspann sich ein reger Briefverkehr zwischen ihnen; Adia schrieb in einem ihrer Briefe
     treffend: »Wir üben Liebe auf dem Pergament.« Fünf Monate nach Claudius’ Tod starb auch Adia: Als sie, acht Wochen nach seinem
     Ableben, die Nachricht erhielt, legte sie sich schlafen, um nicht wieder aufzustehen.
     
    Es wurde ruhiger um Turin, und Claudius’ Gegner hielten die Schwierigkeiten für beendet. 400 Jahre später allerdings kehrten
     die Nachfahren Stillas und Germunts aus den Bergen zurück und wanderten durch ganz Norditalien. Sie brachten eine Botschaft,
     die die Kirche und die Herrschenden das Fürchten lehrte. Seit Claudius’ Tagen hatte sie nichts an Kraft verloren, hatte nur
     in einer Felsspalte verborgen gewartet, bis ihre Zeit angebrochen war.
    Mancher Mann der Bewegung schaute mit gelben Eulenaugen auf seine Zuhörer, manche Frau war so ruhig und feinfühlig, daß es
     den Inquisitoren schwerfiel, an ihre Schuld zu glauben. Ihr Name gellte wie das Hifthorn eines Kriegsheeres über das Land:
     Waldenser.

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    |421| DER AUTOR DANKT
     
    Dr. Eberhard Bohm von der Freien Universität Berlin: Seine Seminare über Mittelalterliche Geschichte wecken auf, anstatt einzuschläfern.
     Kein Wunder bei Fangfragen wie dieser: »Nennen Sie drei große Adelsgeschlechter mit Stammsitz, Familien- und Herkunftsnamen
     um 700!« Adelsgeschlechter mit Stammsitz? Um 700?
     
    Seinem Lektor,
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