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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs.
Autoren: Titus Müller
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den Krummstab in seiner
     Rechten, und auf den Schultern, über dem weißen Rochett, lag eine rote, mit weißen Ornamenten bestickte |408| Kasel. Der Wind bewegte die Haarmähne des Bischofs, aber das Löwengesicht lag still, als wäre es aus Stein.
    Zehn Kleriker in hellen Kleidern führten den Legaten zum Wagen. Sie halfen ihm hinauf. Ernst blickte der Mann über die Menge,
     stand noch einen Moment, dann setzte er sich langsam, beinahe andächtig, auf den Thron. Jede seiner Bewegungen, wie er die
     Hand an den Kinnbart führte, wie er sie zurück zur Armlehne sinken ließ, war würdevoll. Der Raubvogel saß schweigend und blickte
     auf Claudius hinab, bereit, auf seine Beute niederzustoßen.
    Unweit der Stelle am Südrand des Platzes, wo Suppo und Mauring mit herablassend schläfrigen Gesichtern auf ihren Pferden saßen
     – Germunt fragte sich, ob das nur eine Täuschung war –, unweit der beiden Berittenen entstand eine große Unruhe unter den
     Leuten. Sie schoben sich, drängelten, und dann hoben die Büttel ihre Lanzen. Godeoch trat auf den Platz. Er trug ein langes
     Wams von blauer Farbe, darüber einen hellgrauen Umhang. An den Knien war seine Hose von zwei gelben Schmuckbändern zusammengerafft.
Der reine Edelmann,
dachte Germunt.
Wir, das einfache Volk, sehen aus, als hätten wir die Farben für unsere Kleidung aus dem Schlamm gefischt: Matschbraun, Staubgrau
     und namenlose Zwischentöne. Die strahlenden Farben von Blüten, Sonnenlicht und wertvollem Gestein, die kann sich nur jemand
     wie Godeoch leisten, und er macht keinen Hehl daraus.
Ein Dutzend Bewaffneter folgte dem Grafen, blieb aber in gehörigem Abstand stehen, während Godeoch vorbei an Claudius zum
     Thron des Legaten lief. Dort verneigte er sich kurz und wies dann, sich umdrehend, auf den Bischof.
    »Dieser Mann, hoher Herr, wurde uns nach Turin geschickt, um unser Bischof zu sein. Aber er verdreht die Herzen der Menschen,
     hat vieles zerstört, was sein Vorgänger mühevoll aufgebaut hat. Mörder und Diebe verbirgt er am Bischofshof, verleiht kirchliche
     Güter an weltliche Herren. All das wäre zu verzeihen, wenn er nicht einer neuen Sekte gegen den allgemeinen Glauben predigen |409| würde. Er hat den Schmuck der Bischofskirche zerstört, auch das Kreuz, und er bringt das Volk gegen Gott auf. Wir bitten Euch,
     nehmt Euch der Sache mit strafender Gerechtigkeit an.«
    »Ich habe die Bischofskirche besucht. Es mag sein, daß sie kahl aussieht, aber sie war gefüllt mit Betenden. Habt Ihr Zeugen
     für Eure Anschuldigungen?«
    Godeoch drehte langsam den Kopf.
    »Ich zeuge!« schrie jemand. »Der Bischof ist ein Ketzer!«
    »Ja, ein Ketzer«, hallte es von der anderen Seite.
    »Er verachtet die heiligen Apostel!«
    »Das Kreuz hat er zerstört!«
    »Er hat uns den Papst abspenstig gemacht!«
    »Der Bischof will nicht, daß wir beten!«
    Immer mehr Stimmen fielen in die Anschuldigungen ein, wie ein Donnergrollen baute sich die Wand aus zornigen Vorwürfen auf.
    Das Gesicht des Legaten verfinsterte sich zusehends. Zum Zeichen, daß er die Rufe verstanden hatte, nickte er mit vorgeschobener
     Lippe. Dann wanderte sein Blick zum Bischof, mit einem tödlichen, kalten Zug um die Augen.
     
    Biterolf hörte seinen eigenen Atem zittern. Er blinzelte die Tränen fort, die sich in seinen Augen festsetzen wollten.
Nicht dieser Mann. Hier geschieht eine große Ungerechtigkeit.
Als hätte sich ein schwerer Vorhang zwischen ihn und das Volk geschoben, drangen die wütenden Rufe nur noch gedämpft an seine
     Ohren.
    Er haftete seinen Blick auf Claudius, saugte jede Einzelheit in sich auf. Die dunkel gelockten Haare, prächtig wie eine Löwenmähne.
     Die wilden Augenbrauen, die scharf geschnittene Nase. Claudius stand aufrecht, stattlich wie ein König, als würde jede Anschuldigung
     an ihm abprallen. Aber vielleicht war es gerade dieser Stolz, der den Legaten erzürnte, der ihn reizte, die Macht des Bischofs
     zu vernichten?
    |410| Der Legat erhob sich. In seinem Gesicht stand das Urteil, ein donnerndes, zerschmetterndes Wort.
    »Ich sollte doch zum Bischof gehen, habt Ihr gesagt«, zupfte jemand Biterolf am Ärmel.
    Er sah hinab auf ein bekanntes Kindergesicht.
Es nützt jetzt nichts mehr,
wollte er sagen, aber in seiner Kehle wogte nur beißender Schmerz auf und ab, und so preßte er die Lippen aufeinander, schüttelte
     schweigend den Kopf.
    »Könnt Ihr mir die Lanze ein wenig anheben, daß ich durchschlüpfen kann? Und haltet sie dann fest,
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