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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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müssen verrückt sein.« Die Mutter schüttelt den Kopf. Anwälte haben Treuhandkontos, sagt sie, Gott weiß warum. »Jack ist wie ein Kind in Geldfragen«, sagt sie.
      Bensusan und die Rechtssozietät sind auf der Bildfläche erschienen, weil es Leute gibt, die den Vater retten wollen, Bekannte aus alten Tagen, als er Chef der Mietrechtsstelle war, ehe die Nationale Partei an die Macht kam. Sie sind dem Vater wohlgesonnen, sie wollen nicht, daß er ins Gefängnis muß.
      Den alten Zeiten zuliebe, und weil er Frau und Kinder hat, werden sie die Augen vor gewissen Dingen verschließen, gewisse Vorkehrungen treffen. Er kann Rückzahlungen über fünf Jahre machen; dann wird das Kapitel geschlossen, die Sache vergessen sein.
      Die Mutter nimmt selbst die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch. Sie möchte ihre Besitztümer von denen ihres Mannes trennen, ehe ein neues Unglück hereinbricht – den Wohnzimmertisch, zum Beispiel; die Kommode mit dem Spiegel; den Kaffeetisch aus Stinkbaumholz, den sie von Tante Annie hat. Sie hätte gern ihren Ehekontrakt, der sie beide für die Schulden des anderen verantwortlich macht, geändert.
      Aber Ehekontrakte, so stellt sich heraus, können nicht verändert werden. Wenn der Vater untergeht, geht auch die Mutter unter, sie und die Kinder.
      Eksteen und der Schreibkraft wird gekündigt, die Kanzlei in Goodwood wird geschlossen. Er bekommt nie zu sehen, was mit dem grünen Fenster und der Goldschrift passiert. Seine Mutter gibt weiter Unterricht. Der Vater schaut sich nach Arbeit um. Jeden Morgen pünktlich um sieben macht er sich in die Stadt auf. Doch ein oder zwei Stunden später – das ist sein Geheimnis –, wenn alle anderen aus dem Haus sind, kommt er zurück. Er zieht wieder den Schlafanzug an und geht mit dem Kreuzworträtsel der Cape Times , einer Taschenflasche Brandy und einem Krug Wasser ins Bett. Um zwei nachmittags, ehe die anderen zurückkommen, zieht er sich an und geht in seinen Klub.
      Der Klub heißt Wynberg-Klub, gehört aber eigentlich zum Wynberg-Hotel. Dort ißt der Vater und verbringt den Abend trinkend. Manchmal hält irgendwann nach Mitternacht ein
      Wagen vorm Haus – er wacht von dem Geräusch auf, er schläft nicht fest –, die Haustür geht auf, der Vater kommt herein und geht auf die Toilette. Dann dringt aus dem Schlafzimmer der Eltern erregtes Geflüster. Am Morgen sind dunkelgelbe Spritzer auf dem Fußboden der Toilette und auf dem WC-Sitz, und es riecht ekelhaft süßlich.
      Er malt ein Schild und hängt es in die Toilette: BITTE SITZ HOCHKLAPPEN. Das Schild wird nicht beachtet. Auf den WC-Sitz zu urinieren ist die letzte Trotzhandlung des Vaters gegen Frau und Kinder, die nicht mehr mit ihm reden.
      Eines Tages, als er nicht zur Schule geht, krank ist oder vorgibt, es zu sein, entdeckt er das Geheimnis seines Vaters.
      Von seinem Bett aus hört er, wie sich der Schlüssel im Haustürschloß dreht, hört, wie sich der Vater im Zimmer nebenan niederläßt. Später gehen sie, schuldbewußt, ärgerlich, im Korridor aneinander vorbei.
      Ehe der Vater nachmittags aus dem Haus geht, holt er die Post aus dem Briefkasten und entfernt gewisse Briefe, die er unten in seinem Kleiderschrank versteckt, unter der Auskleidung mit Schrankpapier. Als die Dämme schließlich brechen, ist es das geheime Briefversteck im Schrank – Rechnungen aus Goodwood-Tagen, Zahlungsaufforderungen, Briefe von Rechtsanwälten –, das seine Mutter am meisten erbittert. »Wenn ich es nur gewußt hätte, dann hätte ich einen Plan machen können«, sagt sie. »Jetzt ist alles zu spät.«
      Überall hat der Vater Schulden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen Besucher, Besucher, die er nicht zu sehen bekommt. Jedesmal wenn es an der Haustür klopft, schließt sich der Vater im Schlafzimmer ein. Die Mutter begrüßt die Besucher gedämpft, geleitet sie ins Wohnzimmer, schließt die Tür. Hinterher hört er sie in der Küche zornig vor sich hin flüstern.
      Es ist die Rede von den Anonymen Alkoholikern, daß der Vater zu den Anonymen Alkoholikern gehen soll, um zu beweisen, daß er es ernst meint. Der Vater verspricht es, geht aber nicht hin.
      Zwei Gerichtsvollzieher kommen, um ein Inventar dessen, was sich im Haus befindet, zu erstellen. Es ist ein sonniger Samstagmorgen. Er zieht sich in sein Schlafzimmer zurück und versucht zu lesen, aber es funktioniert nicht; die Männer verlangen Zutritt zu seinem Zimmer, zu jedem Zimmer. Er geht in den Hinterhof.
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