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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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Theo zu sich nach Hause ein. Als sie dort ankommen, stellt er fest, daß sie zum Mittagessen erwartet werden. Sie setzen sich also um drei Uhr nachmittags an den mit silbernem Besteck und sauberen Servietten gedeckten Tisch, und ein Butler in weißer Uniform, der während sie essen hinter Theos Stuhl steht und auf Befehle wartet, serviert ihnen Steak und Chips.
      Er tut sein Bestes, um seine Verwunderung nicht zu zeigen.
      Er weiß, daß es Leute gibt, die bedient werden; es war ihm bisher nicht klar gewesen, daß auch Kinder Diener haben können.
      Dann fahren Theos Eltern mit der Schwester ins Ausland – dem Gerücht nach soll die Schwester an einen englischen Baronet verheiratet werden – und Theo und sein Bruder kommen ins Internat. Er erwartet, daß diese Erfahrung niederschmetternd für Theo sein wird – durch den Neid und die Bösartigkeit der anderen Internatszöglinge, durch das schlechte Essen, durch die Würdelosigkeit eines Lebens ohne Privatsphäre. Er erwartet auch, daß Theo nun den gleichen Haarschnitt verpaßt bekommt wie alle anderen. Doch irgendwie schafft es Theo, seine elegante Frisur zu behalten; obwohl er diesen Namen hat, eine sportliche Niete ist und das Gerücht kursiert, er sei eine Tunte, verliert er sein nettes Lächeln nicht, beklagt sich nie, läßt sich nicht demütigen.
      Theo sitzt dicht an ihn gedrückt neben ihm auf der Schulbank, unter dem Bild von Jesus, der seinen Brustkorb öffnet, um ein brennendes rubinrotes Herz zu zeigen. Sie sollen eigentlich den Geschichtsstoff wiederholen; doch sie haben eine kleine Grammatik vor sich liegen, aus der Tony ihm Altgriechisch beibringt. Altgriechisch mit neugriechischer Aussprache – ihm gefällt das Ungewöhnliche daran. Aftos , flüstert Theo; evdhemoma. Evdhemonta , spricht er flüsternd nach.
      Bruder Gabriel spitzt die Ohren. »Was treibst du da, Stavropoulos?« will er wissen.
      »Ich bringe ihm Griechisch bei, Bruder«, sagt Theo in seiner offenen, selbstbewußten Art.
      »Setz dich auf deinen eigenen Platz.«
      Theo lächelt und schlendert auf seinen Platz.
      Die Brüder können Theo nicht leiden. Seine Überheblichkeit ärgert sie; genau wie die Jungen sind sie wegen seines Geldes gegen ihn eingenommen. Die Ungerechtigkeit des Ganzen wurmt ihn; er würde gern für Theo kämpfen.

Achtzehn
    Die Mutter arbeitet wieder als Lehrerin, um sie über die Runden zu bringen, bis die neue Anwaltskanzlei des Vaters Geld abwirft. Für die Hausarbeit engagiert sie eine Hausgehilfin, eine dürre, fast zahnlose Frau, die Celia heißt.
      Manchmal bringt Celia zu ihrer Gesellschaft die jüngere Schwester mit. Als er eines Nachmittags aus der Schule nach Hause kommt, findet er die beiden in der Küche beim Teetrinken vor. Die jüngere Schwester, die attraktiver als Celia ist, lächelt ihn an. An ihrem Lächeln ist etwas, das ihn verlegen macht; er weiß nicht, wohin er schauen soll, und zieht sich in sein Zimmer zurück. Er hört sie lachen und weiß, daß sie über ihn lachen.
      Etwas verändert sich. Er ist anscheinend ständig verlegen. Er weiß nicht, wohin er blicken soll, was er mit den Händen anfangen soll, wie er sich aufrecht halten soll, welches Gesicht er machen soll. Alle starren ihn an, fällen Urteile über ihn, finden etwas an ihm auszusetzen. Ihm ist zumute wie einer Krabbe, die man aus ihrem Gehäuse gezogen hat, rot und wund und obszön.
      Früher hatte er immer viele Einfälle, wohin er gehen konnte, worüber er sprechen konnte, was er machen konnte.
      Er war den anderen immer ein Stück voraus – er war der Anführer, die anderen folgten ihm. Jetzt ist die Energie, die er früher verströmte, fort. Mit dreizehn wird er mürrisch, mißmutig, finster. Er mag dieses neue, häßliche Ich nicht, er möchte daraus hervorgezogen werden, aber das ist etwas, was er nicht selbst tun kann. Aber wen gibt es, der es für ihn tun wird?
      Sie besuchen die neue Kanzlei des Vaters, um sich ein Bild zu machen. Sie befindet sich in Goodwood, was zu dem Afrikaans-Vorortgürtel Goodwood-Parow-Bellville gehört. Die Kanzleifenster sind dunkelgrün gestrichen; auf dem Grün steht mit Goldbuchstaben PROKUREUR – Z COETZEE – RECHTSANWALT. Im Inneren ist es düster, schwere Sessel, gepolstert mit Roßhaar und rotem Leder, stehen herum. Die juristischen Bücher, die mit ihnen durch Südafrika gereist sind, seit der Vater 1937 zum letzten Mal eine Praxis gehabt hat, sind aus ihren Kartons aufgetaucht und stehen im
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