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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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Selbst dahin folgen sie ihm, schauen sich um, machen sich Notizen.
      Die ganze Zeit über kocht er vor Zorn. Dieser Mann , so nennt er den Vater, wenn er mit der Mutter spricht, zu voll von Haß, um ihn beim Namen zu nennen; warum müssen wir etwas mit  diesem Mann zu tun haben? Warum läßt du diesen Mann nicht einfach ins Gefängnis gehen?
      Er hat fünfundzwanzig Pfund auf seinem Postsparbuch. Die Mutter schwört ihm, daß niemand seine fünfundzwanzig Pfund antasten wird.
      Ein Mr. Golding kommt sie besuchen. Obwohl Mr. Golding ein Farbiger ist, hat er bei Vaters Angelegenheiten ein gewichtiges Wort mitzureden. Man bereitet sich sorgfältig auf den Besuch vor. Mr. Golding wird im Vorderzimmer empfangen, wie die anderen Besucher auch. Ihm wird Tee im selben Teeservice serviert. Man hofft, daß Mr. Golding dafür, daß man ihn so gut behandelt, keine Anzeige erstattet.
      Mr. Golding trifft ein. Er trägt einen doppelreihigen Anzug, er lächelt nicht. Er trinkt den von der Mutter servierten Tee, will aber nichts versprechen. Er will sein Geld.
      Nachdem er gegangen ist, gibt es eine Debatte, was mit der Teetasse geschehen soll. Es ist Brauch, scheint es, daß eine Tasse, aus der eine farbige Person getrunken hat, zerschlagen werden muß. Er ist erstaunt, daß die Familie seiner Mutter, die sonst an nichts glaubt, daran glaubt. Aber die Mutter wäscht am Ende die Tasse einfach mit einem Bleichmittel aus.
      Schließlich kommt ihnen Tante Girlie aus Williston zur Hilfe, um die Familienehre zu retten. Sie setzt gewisse Bedingungen fest, und eine davon ist, daß Jack nie wieder als Rechtsanwalt praktizieren darf.
      Der Vater stimmt den Bedingungen zu, ist bereit, das Dokument zu unterschreiben. Aber als es soweit ist, braucht es viel Überredungskunst, um ihn aus dem Bett zu bringen.
      Zuletzt taucht er auf, in grauen Trainingshosen und einer Schlafanzugjacke und barfuß. Wortlos unterschreibt er; dann geht er wieder ins Bett.
      Später an diesem Abend zieht er sich an und verläßt das Haus. Wo er die Nacht zubringt, wissen sie nicht; er kommt erst am nächsten Tag wieder.
      »Was hat es für einen Zweck, ihn unterschreiben zu lassen?« beklagt er sich bei der Mutter. »Er hat seine anderen Schulden nicht bezahlt, warum sollte das bei Girlie anders sein?«
      »Kümmere dich nicht um ihn, ich werde ihr das Geld zurückzahlen«, antwortet sie.
      »Wie denn?«
      »Ich arbeite dafür.«
      An ihrem Verhalten ist etwas, vor dem er nicht mehr die Augen verschließen kann, etwas Außergewöhnliches. Mit jeder neuen Enthüllung scheint sie stärker und eigensinniger zu werden. Als würde sie Schwierigkeiten auf sich ziehen, aus keinem anderen Grund als dem, der Welt zu zeigen, wieviel sie ertragen kann. »Ich werde alle seine Schulden abbezahlen«, sagt sie. »Ich zahle in Raten. Ich arbeite.«
      Ihre ameisengleiche Entschlossenheit erzürnt ihn so sehr, daß er sie schlagen möchte. Was dahinter steckt, ist klar. Sie möchte sich für ihre Kinder aufopfern. Aufopferung ohne Ende – diesen Geist kennt er nur zu gut. Aber wenn sie sich dann ganz aufgeopfert hat, wenn sie die Kleider vom Leibe weg verkauft hat, selbst die Schuhe verkauft hat und auf blutenden Füßen herumläuft, wohin führt ihn das? Das ist ein Gedanke, den er nicht ertragen kann.
     
    Die Dezemberferien sind da, und der Vater hat immer noch keine Arbeit. Sie sind jetzt alle vier im Haus, wie Ratten in einem Käfig, sie weichen einander aus, verstecken sich in getrennten Zimmern. Der Bruder vertieft sich in Comic-Hefte: Eagle , Beano . Ihm gefällt Rover am besten, mit den Geschichten von Alf Tupper, dem Sieger im Meilenlauf, der in einer Fabrik in Manchester arbeitet und sich von Fisch und Chips ernährt. Er versucht, sich in die Comics zu vertiefen, doch er kann nicht vermeiden, daß er bei jedem Flüstern und Knarren im Haus die Ohren spitzt.
      Eines Morgens herrscht eine seltsame Stille. Seine Mutter ist fort, aber es liegt etwas in der Luft – ein Geruch, eine Aura, etwas Schweres –, das ihm sagt, daß dieser Mann noch im Haus ist. Er schläft doch bestimmt nicht mehr. Ist es möglich, daß er – unerhörtes Wunder – Selbstmord begangen hat?
      Doch falls er Selbstmord begangen hat, wäre es dann nicht das beste so zu tun, als hätte er nichts bemerkt, damit die Schlaftabletten oder was er genommen hat, Zeit haben, ihre Wirkung zu entfalten? Und wie kann er seinen Bruder davon abhalten, Alarm zu schlagen?
      In dem
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