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Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz
Autoren: John Boyne
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blickte sich um, ob es irgendwo noch etwas Spannendes gab. »Was können wir als Nächstes machen?«)
    Im zweiten Dorf war wesentlich mehr los als im ersten, weil inzwischen die Sonne aufgegangen war und die Erwachsenen alle zur Arbeit gingen, mit einem Gesicht, dem man ansah, dass sie lieber noch eine Stunde im Bett gedöst hätten oder ganz zu Hause geblieben wären. Die meisten eilten schnell an Noah vorbei, mit ihrer Aktentasche unter dem Arm und dem Schirm in der Hand, weil sie immer das Schlimmste befürchteten. Ein paar musterten ihn allerdings misstrauisch, weil sie merkten, dass er nicht von hier war. Zum Glück war es noch so früh, dass niemand neugierig genug war, um ihn zu fragen.
    Noah blickte die Straße hinauf und hinunter und fragte sich, ob es hier auch ein Café gab – dann könnte er eine Runde Flipper spielen, und wenn er wieder eine Punktzahl erreichte, die besser war als alles vorher, dann bot ihm der Besitzer vielleicht ein warmes Frühstück an, um ihm zu seiner großartigen Leistung zu gratulieren. Er konnte sich nämlich kein Frühstück bestellen, weil er beschlossen hatte, weder aus der Brieftasche seines Vater ein paar Scheine zu stehlen noch sich Münzen aus dem Geldbeutel seiner Mutter zu borgen, ehe er aus dem Haus ging. Zwar wusste er, dass Geld manche Aspekte seiner Abenteuerreise erleichtern würde, aber er wollte seinen Eltern nicht als Dieb im Gedächtnis bleiben.
    Er schaute sich um und entdeckte nichts, wo sich vielleicht die Möglichkeit eines kostenlosen Frühstücks ergeben könnte, und plötzlich überfiel ihn eine schreckliche Müdigkeit, weil er ja so früh aufgestanden war und schon eine lange Strecke zurückgelegt hatte. Ohne daran zu denken, dass es einen sehr unfeinen Eindruck machte, falls ihn jemand beobachtete, breitete er die Arme aus und erlaubte sich den Luxus, ganz ausgiebig zu gähnen. Dabei schloss er die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, und aus Versehen boxte er einen winzig kleinen Mann, der zufällig gerade vorbeikam, mitten ins Auge.
    »Aua!«, schrie der winzige Mann und blieb stehen, rieb sich das schmerzende Gesicht und funkelte den Boxer böse an.
    »Ach, du meine Güte!«, rief Noah schnell. »Das tut mir furchtbar leid, Sir, ich habe Sie gar nicht gesehen.«
    »Du schlägst mich nicht nur, sondern beleidigst mich auch noch?«, schimpfte der Mann wütend, und sein Gesicht lief vor Wut feuerrot an. »Ich bin zwar klein, aber unsichtbar bin ich nicht, nur damit du’s weißt!« Er sah wirklich sehr ungewöhnlich aus und war nicht einmal so groß wie Noah, von dem alle Leute sagten, er sei ein bisschen zu klein für sein Alter, aber er solle sich keine Sorgen machen, das würde sich schon bald genug ändern. Der Mann hatte etwas auf dem Kopf gehabt, das aussah wie eine schwarze Perücke, aber diese war heruntergefallen und lag jetzt bei seinen Füßen, und als er sie aufhob, setzte er sie verkehrt herum auf, so dass er aussah wie jemand, der sich entfernt, und nicht wie jemand, der näher kommt. Vor sich her schob er eine Schubkarre, in der eine große graue Katze saß, die kurz die Augen öffnete, um Noah zu mustern. Sie verzog das Gesicht, als wollte sie sagen, dass sie schon massenhaft Jungen wie ihn gesehen hatte und dass es sich nicht lohnte, sich mit ihm abzugeben, und schon war sie wieder eingeschlafen.
    »Ich wollte das nicht, ehrlich«, sagte Noah, der über die Wut des Mannes erschrak. »Ich wollte Sie weder schlagen noch beleidigen.«
    »Und trotzdem hast du beides getan, und jetzt verspäte ich mich deinetwegen auch noch. Wie viel Uhr ist es überhaupt?« Noah schaute auf seine Armbanduhr, aber bevor er antworten konnte, begann der Mann, laut zu jammern. »Nein, sag mir lieber nicht, wie viel Uhr es ist!«, jaulte er voller Wut. »So ein Pech aber auch – wir haben einen Termin beim Tierarzt, und er behandelt niemanden, der zu spät kommt. Er wirft einen sofort wieder raus auf die Straße. Und wenn das passiert, dann stirbt meine Katze ganz bestimmt. Und du bist an allem schuld. Du bist wirklich ein abscheulicher kleiner Junge.« Bei den letzten drei Wörtern wurde seine Stimme ganz tief und laut, und sein Gesicht bekam eine Farbe wie ein überreifes Radieschen.
    »Ich habe doch gesagt, es tut mir leid!« Noah war verdutzt: Wenn der Mann zu spät zu seinem Termin kam, konnte er das doch nicht
ihm
in die Schuhe schieben. Schließlich hatte er den Mann nur ganz kurz aufgehalten. Und wenn die Katze starb … tja, Katzen starben, so
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