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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Autoren: Ian Brown
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nichts mit den Genen zu tun habe. Es ist eine umstrittene Ansicht, aber Noble besteht darauf. »Auf der Ebene von Nervenzellen und den dazu gehörigen Molekülen«, sagte er, »ist der Geist noch nicht da. Man kann die Idee der Intentionalität ohne die gesellschaftlichen Netzwerke, in denen wir leben, gar nicht verstehen, ohne Kommunikation miteinander. Ich glaube, wir werden feststellen, dass der Geist außerhalb des Körpers liegt, in den neuronalen Netzwerken des sozialen und kulturellen Lebens.« Er bevorzugte die Vorstellung der »Buddhisten und Taoisten, die diese Idee hatten, dass der Geist kein Objekt sei. Sondern vielmehr Prozess.«
    »Das menschliche Genom ist ein eleganter, aber kryptischer Speicher von Informationen«, erzählte mir Roderick McInnes eines Nachmittags. McInnes ist der Direktor der Genetikabteilung an den Canadian Institutes of Health Research. Ein groß gewachsener, freundlicher Mann mit einem vollen, braunen Haarschopf und einem Büro, das bis unter die Decke mit Forschungspapieren, Büchern und Fotos von seiner Familie vollgestopft war. Draußen vor seinem Büro, im obersten Stockwerk einer neuen Forschungseinrichtung im Zentrum Torontos, versammelten sich Dutzende von Genetikern um ihre Computer. Während er sprach, blätterte McInnes durch Aufsätze und Zeitschriften sowie das Buch Genetics in Medicine (7. Auflage), einem der wichtigsten Lehrbücher des Fachs, an dem er mitgearbeitet hat. Es kam mir ungewöhnlich vor, dass ein Mediziner seine eigene Arbeit konsultieren musste, aber McInnes gab offen zu, dass die Geschwindigkeit, in der sich die Informationen über das Genom entwickelten, und die Komplexität dessen, was diese Informationen enthüllten, es beinahe unmöglich machten, das ganze Gebiet vollständig zu erfassen, und therapeutische Fortschritte eher als Ausnahme erscheinen ließen. Er wies darauf hin, dass die Sichelzellen-Anämie die erste molekulare (oder »genetische«) Krankheit sei, die je identifiziert worden sei, damals im Jahr 1949. Sechzig Jahre später gibt es noch immer kein Heilmittel dagegen. Genetiker stimmen darin überein, dass die Zahl der Proteine kodierenden Gene im menschlichen Genom ungefähr bei 25 000 liegt, aber es gibt mindestens noch 32 000 nicht-kodierende Gene, die den anderen sagen, was zu tun ist. Es gibt Feedbacksysteme innerhalb von Feedbacksystemen, und jeder Tag bringt neue Entdeckungen und Daten. Auch das Genom selbst ist noch nicht vollständig sequenziert. »Es gibt immer noch Bereiche, die wir nicht sequenzieren können«, sagte er, »weil sie in einem Knoten liegen.«
    Mein Problem war nicht die Genetik, davon überzeugte mich McInnes allmählich, sondern die Natur genetischer Erkrankungen. »Mit genetischen Erkrankungen und Kindern ist das so eine Sache«, sagte er. »Es ist das Permanente daran, die Gefühle, die mit einer Mutation einhergehen. Wenn man sie hat, dann hat man sie. Andere Krankheiten hat man nicht unbedingt sein Leben lang. Ich denke, es ist das Unauslöschliche einer genetischen Erkrankung, das sie so ungeheuerlich macht. Der ganze Plan ist verändert worden.« Er machte eine Pause. »Und er ist so geändert worden, wie andere Menschen mit der Krankheit verändert worden sind.« Eine genetische Krankheit kam einem wie eine besonders krasse Form von Schicksal vor. Die meisten von Walkers Ärzten sagten: »Wir sehen uns in ein oder zwei Wochen wieder.« Sein Genetiker sagte: »Wir sehen uns in zwei Jahren wieder.«
    Und Walkers Geist? Der war tatsächlich unrettbar, vom genetischen Standpunkt aus. »Das Gehirn hat zwanzig Milliarden Nervenzellen«, sagte McInnes. »Jede Nervenzelle macht tausend Kontakte und wird von zehntausend weiteren berührt. Wir werden das Gehirn wahrscheinlich niemals auf der Ebene einzelner Nervenzellen verstehen. Wir müssen das wahrscheinlich so betrachten, wie sich ein Astrophysiker dem Verständnis von einer Milliarde Sternen nähert.«
    Das finde ich seltsam tröstlich. Auf meinem Rücken zu liegen, auf das zufällige Aufflackern von Walkers Geist zu blicken und zu spekulieren.
    Ich spreche immer weiter in diesen mit Sternen gesprenkelten schwarzen Raum hinein, rede weiter zu ihm. Natürlich ist es nicht allein Walker, der es nötig hat, mich weiter sprechen zu hören. Es bin auch ich, der es nötig hat, weiter zu Walker zu sprechen. Ich habe Angst davor, was geschieht, wenn ich damit aufhöre.
    Wie sich herausstellte, versuchte ich ein letztes Mal, seinen Geist zu finden. Ich beantragte
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