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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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Kopf.
    »Ich will Ausschau halten.«
    Nanna schaut ihre Mutter an, die die Dosen wendet.
    »Woher hast du das Essen?«
    »Aus der Stadt. Bevor wir weggegangen sind, haben wir im Gedanken daran, dass wir eines Tages zurückkehren würden, mehrere Depots angelegt«, sagt Mama und setzt sich auf ihren Schlafsack. »Wir hatten immer die Absicht wiederzukommen, aber die meisten hielten es für das Beste, so lange wie möglich auf der Bohrinsel zu bleiben. In der Hoffnung, dass die Krankheit verschwinden würde.«
    »Was ist eine Bohrinsel?«, fragt Fride.
    »Eine Ölbohrinsel«, sagt Mama. »Das ist ein riesiger Stahlturm, der weit draußen auf dem Meer im Meeresgrund verankert ist. Früher wurde dort Öl gefördert. Diese Plattformen sind so riesig, das kann man sich kaum vorstellen. Wie richtige Städte auf dem Meer, mit Brücken, Hotels und Hallen.«
    »Größer als die Stadt?«, fragt Fride.
    »Nein«, sagt Mama und lächelt. »So groß nicht. Aber es gibt dort viele Gebäude und auch Brücken.«
    »Aha.«
    »Wieso bist du nicht schon früher gekommen?«, fragt Nanna.
    »Ich konnte nicht.«
    »Warst du gefangen?«, fragt Fride.
    »Ja, gewissermaßen. Ich wollte zurück, um euch zu suchen. Aber es ging nicht. Das müsst ihr mir glauben.«
    »Warum nicht?«, fragt Nanna. »Jetzt bist du doch auch hier.«
    »Ich bin Ärztin, Nanna. Viele Menschen brauchten mich. Stell dir vor, dort wurden Kinder geboren. Die Leute verletzten sich und bekamen andere Krankheiten. Es gab keine Medikamente und keine Ausrüstung, es war schwierig, sie richtig zu behandeln.«
    »Bist du deshalb auch in der Stadt geblieben, als wir auf die Insel geflüchtet sind?«, fragt Fride.
    »Ja. Es sind so viele gestorben. Und wir waren nur noch so wenige.«
    »Aber gezwungen warst du nicht?«, sagt Nanna
    »Doch, das war ich. Manchmal ist das Leben so. Aber ich dachte ja auch, ich würde bald zu euch nachkommen. Nachdem wir die Quarantäne verhängt hatten, hofften wir, alles in wenigen Monaten unter Kontrolle zu bekommen. Aber so kam es nicht.«
    Das nasse Holz zischt und qualmt. Mama verschiebt die Holzscheite mit einem Stock und die Flammen lodern wieder auf.
    »Kannst du dich an den Abend erinnern, an dem wir weggefahren sind?«, fragt Nanna.
    »Ja, natürlich«, sagt Mama und drückt sie beide an sich. »Wir hatten angefangen, alles vorzubereiten, um auf die Insel zu ziehen. Wir hatten Vorräte gekauft und in den Bunker gebracht, das Auto war gepackt.«
    »Papa hat erzählt, dass es ihm peinlich war, so viel Essen in Dosen zu kaufen«, sagt Nanna.
    »Ja, das weiß ich noch«, sagt Mama und lächelt. »Aber dann meldeten sie eines Abends im Radio, dass die Stadt am Tag darauf gesperrt werden sollte. Da entschieden wir uns, Papa und ich. Ihr solltet die Stadt verlassen und euch im Bunker verstecken. Ich würde nachkommen.«
    »Erzähl uns ganz genau, wie es war, als wir gefahren sind«, sagt Fride.
    »Es war so warm an diesem Abend. Das Fenster in eurem Zimmer stand weit offen, als wir euch ins Auto getragen haben. Ihr habt beide ganz fest geschlafen. Du warst ganz schlaff und schwer, Nanna. Papa konnte dich kaum tragen. Dann seid ihr vom Hof gefahren. Und ich war so traurig.«
    »Wie ist es zu der Katastrophe gekommen?«, fragt Nanna.
    »Das wissen wir nicht genau. Es könnten mehrere Dinge dafür verantwortlich gewesen sein. Die Zeitungen berichteten von Vögeln, die tot vom Himmel fielen und Fischschwärmen,die an der Küste im Wasser trieben. Das passierte an vielen Orten auf der ganzen Welt, aber niemand dachte, dass da ein Zusammenhang bestand. Ich weiß noch, dass wir eines Tages im Park waren und alle Tulpen waren tot. Wir dachten, die Parkgärtner hätten etwas falsch gemacht. Aber es wurde immer schlimmer. Alles welkte und die Tiere wurden krank. Und schließlich traf es auch die Menschen. Erst hielten wir es für die Grippe und glaubten, es würde sich bald wieder geben, aber immer mehr Menschen mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Dann starben die ersten. Auch aus anderen Ländern kamen dieselben Meldungen. Die Nachrichten waren voller Bilder aus Städten, in denen die Krankheit schon weiter fortgeschritten war und in denen Hunger und Chaos herrschten.«
    »Aber ihr hattet doch Medizin?«, sagt Nanna.
    »Ja. Und wir haben alles verteilt, was wir hatten.«
    »Hat es nicht gewirkt?«
    »Doch, aber es gab zu wenig. Keiner rechnete damit, dass die Krankheit so schlimm werden würde, schließlich hatten wir ja Mittel, die dagegen
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