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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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gehalten, aber nie etwas gesehen.«
    »Kommst du?«, ruft Fride von unten hoch.
    »Warte kurz«, antwortet Nanna.
    »Hast du wirklich Lichter gesehen?«, fragt Vogel. »Von wo?«
    »Aus der Stadt. Man kann die Stadt von unserem Haus aus sehen.«
    »Und was hast du da gesehen?«
    »Hab ich doch schon gesagt: drei grüne und dann ein rotes Blinken.«
    »Und du hast geantwortet?«
    »Ja. Ich habe nicht nachgedacht.«
    »Wo ist euer Haus?«
    Nanna zögert.
    »Komm schon. Es ist wichtig.«
    »Es liegt ganz draußen am Leuchtturm. Weißt du, wo der ist?«
    »Ja. Man kann ihn von der Halbinsel im Hafen aus sehen. Von da muss das Licht gekommen sein.«
    Vogel geht in die Knie, bevor er auf einen Ast springt. Er schaut hoch in den Baum und schlägt die Hände vors Gesicht.
    »Es ist jemand in der Stadt«, sagt er und atmet tief ein und aus. »Außer uns ist noch jemand in der Stadt.«
    Hastig klettert er den Stamm hoch bis an den höchsten Punkt.
    »Fride«, flüstert Nanna. »Komm wieder hoch. Schnell.«
    Vogel rutscht den Stamm herunter und landet hart auf der Plattform.
    »Ich konnte nichts sehen. Aber wir müssen vorsichtig sein.«
    »Hast du eine Ahnung, wer geblinkt haben könnte?«
    »Nein. Hier war immer nur ich«, sagt Vogel und sieht ängstlich aus. »Ich klettere nach unten und schaue nach, ob jemand in der Nähe war.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich kenne jeden Stein und jeden Baum. Ich kann sehen, ob jemand durch das Laub gegangen ist oder im Gras gelegen hat.«
    Vogel hilft Fride auf die Plattform, dann verschwindet er selbst nach unten.
    »Was ist denn los? Ich verstehe gar nichts mehr«, sagt Fride.
    »Es ist noch jemand in der Stadt, Fride. Wir müssen uns verstecken.«
    »Sind das die Schatten?«
    »Nein. Die Schatten gibt es nicht. Das war nur etwas, das Vogel sich ausgedacht hat.«
    »Ist das wahr?«, sagt Fride froh.
    »Ja.«
    »Warst du deshalb böse auf Vogel?«
    »Ja.«
    »Aber jetzt bist du nicht mehr böse?«
    »Nein. Nicht so sehr.«
    »Er ist doch lieb, oder?
    »Ja. Er ist lieb. Und er heißt Ask. Das habe ich heute Nacht erfahren, als du geschlafen hast.«
    »Er heißt Ask?«, fragt Fride überrascht.
    Vogel kommt wieder zurück.
    »Es ist nichts zu sehen, aber ich habe die Fahrräder startklar gemacht. Wir müssen umziehen. Wir gehen in eure Wohnung. Und dann finden wir raus, woher das Licht kam.«
    Fride schaut Nanna verständnislos an. Sie sackt ein bisschen in sich zusammen und Nanna hat das Gefühl, ihre Schwester noch nie so klein gesehen zu haben. Als würde sie es nicht verkraften, dass die Welt, die sie kennt, sich schon wieder verändern soll.
    »Was für ein Licht?«
    »Erinnerst du dich an den Abend, als wir die Bake aufgeschichtet haben? Als Papa krank wurde und du auf dem Sofa eingeschlafen bist?«
    »Ja.«
    »Ich bin wach geblieben und plötzlich habe ich in der Stadt ein Licht gesehen.«
    »Hast du?«
    »Ja.«
    »Hattest du keine Angst?«
    »Doch. Aber ich war auch sehr neugierig.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich habe zurückgeblinkt.«
    »Hast du?«, sagt Fride.
    »Ja.«
    »Warum hast du nichts erzählt?«
    »Ich hatte Angst, was Papa dazu sagen würde. Er hatte uns so lange versteckt und ich habe einfach verraten, wo wir sind.«
    »Müssen wir deshalb noch ein bisschen in der Stadt bleiben?«
    »Ja. Wer auch immer geblinkt hat, weiß, wo unser Haus ist und darum müssen wir herausfinden, wer es war.«
    »Ist der böse?«
    »Ich weiß es nicht.«

33
    Vogel kommt mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken aus der Hütte.
    »Wir können los«, sagt er.
    »Mehr willst du nicht mitnehmen?«, fragt Nanna.
    »Nein. Alles, was ich brauche, ist in der Stadt«, sagt Vogel und klettert nach unten, ohne sich umzusehen.
    Er kennt das schon, denkt Nanna. Er hat schon öfter einfach alles zurückgelassen. Deshalb fällt es ihm so leicht.
    Fride sieht traurig aus. Nanna schaut ein letztes Mal zu dem kleinen, gemütlichen Haus, das sich so dicht an den Stamm presst. Dann klettern sie nach unten und fahren zur Wohnung.
    Wieder fühlt es sich an, als hätten die Fenster Augen, alles erscheint so bedrohlich. Sogar Vogel wirkt ängstlich und schaut sich nervös um. Langsam fahren sie am Kindergarten vorbei, das Tor steht offen, aber sonst ist nichts zu sehen. Die Fenster in der Wohnung sind dunkel, und Nanna freut sich darauf, ins Haus zu kommen.
    Sie verstecken die Räder im Schuppen. Die Zweige des Baums schlagen im Wind gegen die Regenrinne und Nanna wirft einen Blick nach oben.
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