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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste
Autoren: Siobhan Dowd
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wie sie sind. Ich bin wahrscheinlich hässlich, weil noch nie jemand gesagt hat, ich sei schön. Aber alle sagen immer, wie hübsch Kat ist, also wird sie es wohl sein. Für mich sieht sie einfach aus wie Kat.
    Ich habe also keine Ahnung, ob Salim gut aussehend war, aber er sah aus, als wären seine Gedanken woanders als sein Körper, und das mochte ich an ihm. Ich glaub, so sehe ich auch oft aus.
    Er und Tante Gloria kamen durch den Vorgarten, von dem Mum immer behauptet, er hätte die Größe einer Briefmarke, auf unsere Haustür zu. (In Wirklichkeit misst er drei mal fünf Meter und ich habe irgendwann mal ausgerechnet, dass auf dieser Fläche 22500 Briefmarken Platz hätten.) Ehe die beiden klingeln konnten, riss Mum bereits die Tür auf.
    Â»Glo«, sagte sie.
    Â»Fai!«, kreischte Tante Gloria.
    Es gab ein Durcheinander aus Armen und Gelächter und ich wäre am liebsten in mein Zimmer hinaufgegangen. Hinter den beiden stand Salim und schaute zu. Unsere Blicke trafen sich. Er hob die Schultern, sah hinauf zur Decke und schüttelteden Kopf. Dann lächelte er genau in meine Richtung, was bedeutete, dass wir Freunde werden konnten.
    Es war ein gutes Gefühl. Die einzigen anderen drei Freunde, die ich hatte, waren alle erwachsen: nämlich Mum, Dad und Mr Shepherd, mein Lehrer in der Schule. Kat rechnete ich nicht zu meinen Freunden, weil sie meistens gemein zu mir war und mich dauernd unterbrach, wenn ich was sagen wollte.
    Â»Ted«, sagte Mum. »Sag deiner Tante Glo guten Tag.«
    Ich schaute auf Tante Glorias linkes Ohr. »Guten Tag, Tante Gloria.« Ich hielt ihr die Hand hin, damit sie sie schütteln konnte. Sie zog mich in eine Umarmung, die nach Zigaretten und Parfum roch und von der ich ein Jucken in der Nase bekam.
    Â»Hallo, Ted«, sagte sie. »Nenn mich doch einfach Glo, ja? Alle nennen mich so.« Ich schlängelte mich aus ihren Armen. »Mein Gott, Faith«, fuhr sie fort. »Er ist unserem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Weißt du noch? Dad mit Anzug und Krawatte, sogar im Urlaub? Ted sieht ganz genauso aus wie er.«
    Alle schwiegen. Es stimmte, dass ich die Hose und das Hemd meiner Schuluniform jeden Tag trug, auch außerhalb der Schule. Das gefiel mir. Kat sagte mir dauernd, ich soll doch ein T-Shirt und Jeans anziehen »und mal ganz locker und normal sein«, aber dadurch zog ich meine Uniform nur noch lieber an.
    Â»Nein, Mum«, sagte Salim. »Er sieht echt aus wie ein cooler Typ. Offiziell ist grad wieder total angesagt, weißt du das denn nicht?«
    Â»Hmpf«, machte ich.
    Â»So ein Outfit ist doch bloß Tarnung, Mum. Um das Rebellische zu verbergen, das in einem steckt … Stimmt’s, Ted?«
    Ich nickte. Es fühlte sich toll an, als rebellisch bezeichnet zu werden.
    Â»Hey, Ted, gibst du mir die Hand?«
    Wir schauten uns beim Händeschütteln direkt in die Augen und ich merkte, wie mein Kopf zur Seite kippte, was Kat immer meinen Ich-bin-zu-doof-zum-Scheißen-Blick nennt. »Willkommen in London, Salim«, sagte ich.
    Kat schob mich beiseite. »Hallo, Salim«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. »Du hast ja einen komischen Akzent. Spricht man so etwa bei euch im Nooorden?«
    Â»Hallo, Kat«, sagte Salim und ergriff ihre Hand. »Spricht man so etwa bei oiiich iiim Süden?«
    Alle platzten vor Lachen, was nicht wortwörtlich passierte, aber die Vorstellung explodierender Körper bei extremer Heiterkeit gefällt mir, also ist es eine gute Art der Beschreibung. Ich wusste zwar nicht, was daran so komisch war, aber ich lachte mit. Mr Shepherd sagt, es ist gut, mitzulachen, wenn andere lachen, weil das bedeutet, dass man sich anpasst und Freundschaften schließt.
    Â»Wie kommt es, dass ihr alle einen Südlondoner Akzent habt und Ted so deutlich spricht wie ein BBC-Sprecher?«, fuhr Salim fort.
    Â»Das ist eine sehr gute Frage, Salim«, sagte Mum. »Nicht mal Teds Neurologe hat eine Erklärung dafür. Aber kommt doch alle mit in die Küche. Das Abendessen ist fertig.«
    In der Küche hatte Mum den Tisch zu seiner vollen Länge von fast zwei Metern ausgezogen, so dass sechs Personen Platz hatten, aber weil ich der Dünnste bin, musste ich mich an das eine kurze Ende quetschen, mit dem Rücken zur Verandatür. Mum hatte eine weiße Decke auf die Tischplatte gelegt und ließ mich den Tisch decken, weil das meine Aufgabe
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