Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste
Autoren: Siobhan Dowd
Vom Netzwerk:
wahr, mein Schatz?«
    Â»Ja, kann sein«, sagte Salim. Sein Handy begann mit der James-Bond-Melodie zu klingeln. »Entschuldigt mich«. Er stand vom Tisch auf und rannte hinaus in die Diele, um ranzugehen. Diesmal sah ich, wie Tante Glorias Blick zur Decke ging.
    Während Salims Abwesenheit begann eine Diskussion über die Pläne für den nächsten Tag. Dad musste zur Arbeit, aber Mum hatte ihren krankenschwesterfreien Tag und wir hatten Ferien, also könnten wir zu fünft die Stadt besichtigen, meinte sie. Kat wollte eine Bootsfahrt auf der Themse machen und ich wollte ins Museum für Wissenschaft und Technik. Mum wollte zu Covent Garden, um die Straßenmusikanten zu sehen. Und Tante Gloria wollte in alle Kunstmuseen gehen.
    Salim kam wieder rein und steckte sein Handy zurück in die Hosentasche.
    Â»Salim soll entscheiden«, sagte Dad. »Er ist schließlich unser Gast.«
    Â»Er will in die Tate Gallery für Moderne Kunst, stimmt’s?«, schlug Tante Gloria vor.
    Salim wand und krümmte sich stöhnend, als wäre er vergiftet worden. Ich fuhr so panisch in die Höhe, dass ich mit dem Ellbogen fast die Verandascheibe eingeschlagen hätte. Alle lachten.
    Â»Er macht so gerne Witze, praktisch dauernd«, sagte Tante Gloria.
    Salim stand wieder gerade da und wirkte ganz normal. Er strich sich über den dünnen dunklen Flaum auf seiner Oberlippe. »Bitte, Mum«, sagte er. »Nicht noch ein Kunstmuseum.«
    Â»Aber die Tate Gallery für Moderne Kunst ist anders. Es ist die Turbinenhalle eines alten Ölkraftwerks. Mit einem gigantischen Schornstein. Und der Raum ist endlos hoch.«
    Â»Ja, aber er ist vollgestopft mit Kunst.«
    Â»Salim«, sagte ich. »Wenn du praktisch dauernd Witze machst, wie macht man dann theoretisch dauernd Witze?«
    Salim dachte nach. »Indem man immer nur dran denkt, einen Witz zu machen, es dann aber gar nicht tut?«
    Ich nickte. Also war ich der theoretische Typ. Ich stelle mir oft vor, was für Witze ich mit Kat machen könnte, zum Beispiel, dass laut Wetterbericht um halb eins ein Tsunami die Themse hinaufschwappt und ihre Frisur ruiniert, aber dann mache ich es doch nicht.
    Â»Wie wär’s mit dem Zoo?«, schlug Mum vor. »Oder dem Aquarium?«
    Â»Nicht sehr hoch«, wandte ich ein.
    Â»Stimmt«, sagte Salim. Er runzelte die Augenbrauen. »Ich hab’s. Lasst uns zum Riesenrad gehen.«
    Â»Das Riesenrad?«, sagte Kat. »Wir sind schon zweimal damit gefahren. Es ist fantastisch, Salim.«
    Â»Und es ist hoch«, sagte ich. »Technisch gesehen ist es kein normales Riesenrad, sondern eher so konstruiert wie das Rad von einem Fahrrad. Das Rad eines gigantischen Fahrrads am Himmel. Eine Umdrehung dauert dreißig Minuten und …«
    Kat trat mir ans Schienbein, was bedeutete, dass ich den Mund halten sollte.
    Â»Super«, sagte Salim. »Das möchte ich gern machen. Wie Ted sagt: Mit dem Fahrradrad über den Himmel fahren. Bitte, Mum.«
    Â»Und wenn es morgen bewölkt ist?«
    Â»Das wird es nicht, Tante Gloria«, sagte ich. »Wir befinden uns mitten in einem Hochdruckgebiet und das Wetter wird schön.«
    Â»Aber die langen Schlangen!«
    Â»Bitte, Mum«, sagte Salim. »Du und Tante Fai, ihr könnt ja Kaffee trinken gehen. Ted, Kat und ich stellen uns an, um die Karten zu kaufen. Bitte.«
    Â»Na gut … Wenn wir hinterher noch kurz im Museum vorbeischauen. All diese Kunstwerke in einer riesigen Industrieanlage. Ich möchte Ted gern die Bilder von Andy Warhol zeigen. Ein amerikanischer Pop-Art-Maler, der Bilder von Werbeanzeigen und berühmten Leuten gemalt hat. Tomatensuppe von Campbell’s zum Beispiel. Und Marilyn Monroe.«
    Â»Von dem hab ich schon mal gehört«, sagte Kat. »Das war ein Spinner.«
    Â»Er war eine Ikone der Moderne«, sagte Tante Gloria. »Ich würde sogar sagen, er war die Verkörperung des zwanzigsten Jahrhunderts. Manche glauben sogar, dass er …«, sie blickte zu Mum hinüber, »… na ja. Dass er dasselbe hatte wie Ted.«
    Alle schwiegen.
    Â»Sag ich doch«, sagte Kat. »Ein Spinner.«
    Mums Lippen pressten sich aufeinander. Ich begriff, dass Kat sie wütend gemacht hatte. Aber das machte mir nichts aus. Ich weiß, dass ich ein Spinner bin. Mein Gehirn funktioniert mit einem anderen Betriebssystem als bei anderen Leuten. Ich sehe Dinge, die andere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher