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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste
Autoren: Siobhan Dowd
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nicht sehen, und manchmal sehen die anderen Dinge, die ich nicht sehe. Ich denke jedenfalls, wenn Andy Warhol so war wie ich, müsste ich eines Tages auch eine Ikone der Moderne werden. Und statt für Suppendosen und Filmstars werde ich dann eben für Wetterkarten und offizielle Kleidung berühmt, das würde mir gefallen.
    Â»Gebongt«, sagte Salim. »Das Rad zuerst. Und dann das Kunstmuseum.«
    So entschieden wir uns also für das Riesenrad. Oder für das Fahrradrad, wie Salim sagte.

5
    Nachtgespräche
    In dieser Nacht schlief Salim auf der Luftmatratze neben meinem Bett. Bis dahin hatte ich so gut wie nie mit irgendwem ein Zimmer teilen müssen. Meine Hand begann zu schlackern. Salim kroch in seinen Schlafsack, ohne viele Worte zu machen.
    Ich fragte mich, ob ich ein Gespräch beginnen sollte. Aber worüber? Einfach über irgendwas oder über ein richtiges Thema? Mir fiel ein, was Mum gesagt hatte, als ich im vergangenen Herbst auf die neue Schule kam. »Wenn du neue Leute kennenlernst, Ted, dann sprich über Belangloses.« Ich fragte sie, was das bedeutete. Bedeutete es, sich nur über kurze Dinge zu unterhalten? Sie lachte und meinte, nein, es bedeute, über alltägliche Dinge zu reden. »Dinge wie das Wetter?«, fragte ich. Da seufzte sie und sagte: »Ja, Ted. Dinge wie das Wetter. Aber nicht das große Wetterthema. Nur das kleine.« Was bedeutete, dass ich über Hochs und kleine Tiefs sprechen konnte, aber nicht über größere Sturmsysteme oder den Treibhauseffekt.
    Â»Salim«, sagte ich. »Redest du gern über Belangloses?«
    Â»Hä?«, fragte Salim. Er setzte sich auf. »Nee. Belangloses ist doch langweilig. Das machen die Leute nur, um die Zeit totzuschlagen, wenn sie nichts Interessantes zu erzählen haben.«
    Â»Also dann lieber was Richtiges?«
    Â»Genau, Ted. Was Richtiges. Jederzeit.«
    Â»Was meinst du, was das Wetter ist? Was Richtiges oder was Belangloses?«
    Â»Wie jetzt, Regen, Schnee und so was?«
    Â»Regen und Schnee. Stürme. Wetterfronten. Treibhauseffekt.«
    Â»Das ist was Richtiges. Auf jeden Fall. Der Treibhauseffekt ist ein Superthema. Ich hab diesen Film gesehen, wo ganz New York unter Wasser steht.«
    Â»Könnte mit London auch passieren, irgendwann«, sagte ich.
    Â»Nee«, sagte Salim. »Nicht mit London. Und mit Manchester auch nicht. Nur mit New York.« Er zog die Knie bis unters Kinn. »Meine Mutter hasst Manchester«, fuhr er fort. »Sie sagt, sie hasst den Regen.«
    Â»Ich mag Regen«, sagte ich und dachte daran, dass ohne Regen kein Leben möglich ist.
    Â»Ich auch«, sagte Salim. »Regen ist schön kühl und gemütlich.«
    Â»Ohne ihn würden wir an Austrocknung sterben.«
    Â»Ganz genau.«
    Â»Aber zu viel verursacht eine Sintflut.«
    Â»Ja.« Salim lächelte. »Eine Sintflut, wie bei der Arche Noah.«
    Â»Manche behaupten, die Sintflut in der Bibel hätte es wirklich gegeben«, sagte ich. »Und dass sich so was wiederholen könnte.«
    Salim legte den Kopf schief und sah mir direkt in die Augen. »Warum interessierst du sich so sehr fürs Wetter, Ted?«
    Ich überlegte. »Es ist ein System. Und ich liebe Systeme. Das Wettersystem ist schwer zu verstehen, weil es so viele Variablen gibt. Und Variablen sind interessant. Wenn das System versagt, gibt es eine Katastrophe. Und manche glauben, dass das System bereits zu versagen beginnt und dass dies das Ende der Menschheit bedeuten könnte. Ich will später mal Meteorologe werden, um Dinge voraussagen zu können und dadurch zu helfen, dass die Menschheit überlebt. Aber dafür muss ich sehr viel lernen und alles über die Variablen herausfinden.«
    Salim stieß einen Pfiff aus. »Sagst du mir Bescheid, wenn die Sintflut kommt, Ted? Damit ich mir früh genug eine Arche bauen kann?«
    Â»Versprochen«, sagte ich.
    Salim legte sich wieder hin und ich knipste das Licht aus. Ich lauschte auf die Geräusche unseres Atems. Zu diesem Zeitpunkt mache ich normalerweise immer das Radio an, um den Seewetterbericht zu hören. Es steht auf meinem Nachttisch, in Reichweite. Mum hatte mir verboten, es anzumachen, während ich mit Salim das Zimmer teilte. Meine Finger zuckten unter der Bettdecke.
    Â»Salim«, sagte ich nach einer Weile. »Schläfst du schon?«
    Â»Nee, noch nicht«, sagte er. »Es ist warm.«
    Â»Das ist
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