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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Autoren: Patricia Highsmith
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darüber, wie sie ihre Bücher verstanden wissen wollte. Es reichte ihr, daß sie gelesen wurden.
    Ihren achtzehnten Roman entwickelte sie ungewöhnlich langsam und mit erheblichen Unterbrechungen. Manchmal liegen zwischen zwei Eintragungen mehrere Monate. Die ersten Ideen zu Der Junge, der Ripley folgte notiert Patricia Highsmith am 1. September 1976 im Notizbuch Nummer 34, das auf hundertzehn Seiten mehr als drei Jahre umspannt. Es handelt sich um eine Skizze zu Tom Ripley, der in seinem Haus Holzameisen bekämpft (aus der ersten Zeile wird auch die erste Szene des fertigen Romans) und der im Dorf einen Sechzehnjährigen bemerkt, der sich für ihn zu interessieren scheint. Der Junge, heißt es, »sollte seinen Großonkel getötet haben«. Drei Tage später wird daraus der Großvater. Und erst zehn Monate darauf der behinderte Vater, der nach einem Attentat im Rollstuhl sitzt.
    Zwei weitere Ideen des ersten Entwurfs werden im Lauf der Zeit fallengelassen, verraten jedoch viel über die ursprünglichen Konfliktlinien des geplanten Romans. Erstens: Franks wichtigstes Motiv für seine Flucht aus Amerika sei die Abscheu vor Geld, seine Weigerung, den Materialismus seiner steinreichen Familie zu kopieren und dem ökonomischen Imperativ die eigene Zukunft zu opfern. Und zweitens: Héloïse finde den Jungen unsympathisch. Den frühen Notizen zufolge erkennt sie sofort, daß Frank ihren Mann uneingeschränkt bewundert und zu ihm aufblickt wie zu einem Vater. Franks Anhänglichkeit läßt Héloïse sogar homosexuelle Neigungen argwöhnen. Natürlich wäre der vierte Ripley-Roman ein völlig anderes Buch geworden, wenn dieser Entwurf sich durchgesetzt hätte. Die ganze Handlung beruht ja darauf, daß Toms Haushalt so reibungslos funktioniert wie eh und je und daß Héloïse einerseits häufig abwesend ist, andererseits aber das Kommen und Gehen der Freunde ihres Mannes ohne Murren hinnimmt, also weder Mißtrauen noch Eifersucht zeigt. Während sich eine extravagante Geschichte um Entführung, heimliche Fluchten, falsche Pässe und verlorene Illusionen entspinnt, muß über Belle Ombre die Aura der Normalität liegen.
    Der Garant dieser Ordnung – neben der stillen Präsenz und den schmackhaften Mittagsgerichten Madame Annettes – ist niemand anderer als Héloïse. Solange sie Toms kühne Unternehmungen billigt, deren wahre Dimensionen sie weder kennt noch kennen will, handelt es sich bei allen Abenteuern um Privatexkursionen eines zuverlässigen Ehemanns und Landhausbesitzers. Entfernte man Héloïse aus dem Bild, sähe die Sache ganz anders aus. Aus Tom Ripley würde ein einsamer Exzentriker, der sein Geld und seine Energie an merkwürdige, ja anrüchige Aktivitäten verschwendet. Eine Notiz vom 25. Juli 1977 legt nahe, daß das Verhältnis zwischen Tom und Héloïse auf einem schwierigen Balanceakt beruht, der im Roman freilich unsichtbar bleibt: »T.R. [Tom Ripley] kann es H. [Héloïse] eigentlich nie recht machen, denn wenn er in ihre Privatsphäre eindringt, ist es zuviel, & wenn er es bleibenläßt, ist es ein Zeichen von Gleichgültigkeit.« Bei dieser kalten Schönheit mit einem bezifferbaren Quantum an Luxusbedarf kann man vielleicht verstehen, daß es den Mann so oft von zu Hause wegzieht.
    Warum Ripley allerdings mit dem polizeilich gesuchten Frank Pierson ausgerechnet nach Berlin fliegt, um dort ein stattliches Besichtigungsprogramm abzuspulen, wo doch Öffentlichkeit für Frank das Allergefährlichste ist, versucht der Roman nicht plausibel zu machen. Die Begründung lautet, Rom oder Venedig sei noch gefährlicher, was zweifellos stimmt, die Berlin-Idee aber um keinen Deut sinnvoller erscheinen läßt. Mit anderen Worten, nicht nur die Kriminalhandlung, auch die Ortswechsel gehorchen kaum den Gesetzen der hergebrachten Logik. Man ahnt vielmehr, daß Patricia Highsmith gewisse Konstellationen herbeiführen wollte.
    Das ist in ihrem Schreiben nicht üblich, hier aber unübersehbar. Die Autorin, so scheint es, denkt nicht mehr in Kategorien von Stimmigkeit oder Wahrscheinlichkeit, sondern von erwünschten Situationen, die sie eben erzählerisch arrangieren muß. Sie will zum Beispiel – man spürt es an der Sorgfalt, mit der sie das Motiv mehrmals wiederholt –, daß Tom Ripley den Leberfleck seines jungen Freundes überpudert. Befremdlich, aber wahr. Als sie später nach Paris fliegen, im achtzehnten Kapitel, ist Franks Haar schon so lang gewachsen, daß es teils über die Wange mit dem Leberfleck fällt, und
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