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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Autoren: Patricia Highsmith
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sechzehn! Weißt du, heute bringen sich immer mehr junge Leute um. Andauernd lese ich in den Zeitungen davon. – Möchtest du auch? Oder etwas anderes?« Sie hielt ihm das volle Weinglas mit Perrier hin, das sie sich gerade eingeschenkt hatte.
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich will mich frisch machen.« Er ging zur Toilette im Erdgeschoß, wo es ein Waschbecken gab, und warf dabei einen Blick auf den kleinen Stapel Briefe auf dem Telefontisch: vier Stück, die Post von gestern und heute. Das hatte Zeit.
    Beim Mittagessen erzählte Tom seiner Frau von dem Haus der Piersons in Kennebunkport, von der seltsamen Dienerin namens Susie Schuhmacher, die vor Jahren Haushälterin und gewissermaßen Gouvernante der Jungs gewesen war, nun aber, nach einem Herzanfall, nicht mehr arbeiten konnte. Es gelang ihm, das Haus als eine Mischung aus Luxus und Düsterkeit zu schildern – was die Wahrheit war, dachte er, oder jedenfalls seine Sicht der Dinge. Héloïses mißbilligender Blick zeigte Tom, daß sie wußte, es war nicht die ganze Wahrheit.
    »Und du bist am selben Abend abgereist, kurz nach dem Tod des Jungen?« fragte sie.
    »Ja. Ich sah keinen Sinn darin, länger zu bleiben. Bis zur Beerdigung konnten zwei Tage vergehen, wer weiß.« Vielleicht war sie heute, am Dienstag, dachte er.
    »Ich glaube, du hättest das Begräbnis nicht ertragen«, sagte Héloïse. »Du hast den Jungen sehr gemocht, nicht wahr? Ich weiß es.«
    »Ja.« Jetzt konnte Tom seiner Frau ins Gesicht sehen. Seltsam war es gewesen, ein junges Leben so zu steuern, wie er es versucht hatte – und dann zu scheitern. Vielleicht konnte er das eines Tages ihr gegenüber zugeben. Andererseits wohl doch nicht, da er ihr niemals verraten würde, daß der Junge seinen Vater von der Klippe gestoßen hatte – und das war die wahre Erklärung für seinen Selbstmord, wichtiger als Teresa, wenigstens in Toms Augen.
    »Hast du Teresa kennengelernt?« fragte Héloïse. Sie hatte sich schon Lily Pierson ausführlich schildern lassen, die frühere Schauspielerin, die schwerreich geheiratet hatte, und Tom hatte sein Bestes getan und auch eine Beschreibung des hilfsbereiten Tal Stevens geliefert, den sie vermutlich heiraten würde.
    »Nein, nein, Teresa nicht. Ich glaube, sie war in New York.« Tom nahm nicht an, daß sie auch nur zu Franks Beerdigung kommen würde. Und was machte das schon? Teresa war für den Jungen eine fixe Idee gewesen, beinah ungreifbar, und das würde sie bleiben – »ewig«, wie er geschrieben hatte.
    Nach dem Essen ging Tom nach oben, um seine Post durchzusehen und auszupacken. Noch ein Brief von Jeff Constant und der Galerie Buckmaster in London: Alles lief gut, wie Tom auf einen Blick erkannte. Die Neuigkeit war, daß die Academia Derwatt in Perugia neue Geschäftsführer bekommen hatte, zwei junge Männer aus London mit künstlerischen Neigungen (Jeff nannte die Namen), die nun die Idee hatten, einen Palazzo unweit der Akademie zu kaufen und zu einem Hotel für die Kunststudenten umzubauen. Was Tom davon halte? Ob er den Palazzo südwestlich der Kunstschule vielleicht kenne? Die neuen Londoner Jungs würden ihm mit der nächsten Post ein Foto schicken. Jeff schrieb:
Das bedeutet, wir expandieren, was nur gut sein kann, meinst Du nicht, Tom? Es sei denn, Du als Italienkenner hast Informationen über die Lage dort vor Ort, die gegen einen Kauf zum jetzigen Zeitpunkt sprechen.
    Solche Informationen hatte Tom nicht. Hielt Jeff ihn etwa für ein Genie? Ja. Tom wußte, daß er dem Kaufplan zustimmen würde. Weiter wachsen, ja, jedenfalls mit Hotels. Die Kunstakademie würde das meiste Geld mit dem Hotel machen. Und der echte Derwatt hätte sich vor Scham gewunden.
    Tom zog den Pulli aus, schlenderte in sein blauweiß gekacheltes Bad und warf ihn hinter sich auf einen Stuhl. Er meinte zu hören, wie die Holzameisen beim Geräusch seiner Schritte verstummten – oder hatte er gar nichts gehört? Er horchte, das Ohr seitlich an das Holzregal gelegt. Nein, er hatte sie vernommen, und sie waren nicht verstummt: Ein ganz leises Surren und Summen ertönte, das nun, da er lauschte, schon wieder lauter wurde. Immer noch am Werk, die fleißigen kleinen Biester! Auf einer Pyjamajacke, die gefaltet in einem Regal lag, bemerkte Tom eine Miniaturpyramide aus feinem rotbraunem Sägemehl, von den Grabungsarbeiten darüber. Was bauten die bloß da drinnen? Betten für sich oder Eierablagen? Ob diese kleinen Zimmerleute all ihren Grips zusammengenommen hatten und sich
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