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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess
Autoren: Brian Conaghan
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Liste der Verdächtigen.
    Ich sah zu Rosie. Auf ihrem Gesicht stand ein völlig anderer Ausdruck. Aschfahl war der einzige Ausdruck, um es zu beschreiben. Und anders als bei Cora war dieser Ausdruck nicht das Ergebnis von Miss Croals kleiner Vorstellung. Ich formte die Worte: Alles okay mit dir?
    Sie sagte nichts, doch ich konnte erkennen, dass sie darauf brannte, mir etwas zu sagen. Sie warf einen Seitenblick in Richtung Tür. Das bedeutete: Lass uns gehen. Ich warf einen in Miss Croals Richtung, ehe ich die Brauen hob, um anzudeuten, dass ich im Augenblick nicht wegkonnte.
    »Miss, kann ich mal zur Toilette?«, fragte Rosie plötzlich. Sie schickte mir damit eine unmissverständliche Nachricht: Ich erwarte dich vor der Klasse.
    »Du bist doch gerade erst aus der Pause gekommen, Rosie.«
    »Bitte, Miss. Ich muss.«
    »Da lasse ich nicht mit mir handeln. Die Antwort lautet Nein.«
    Zorn zeichnete sich auf Rosies Gesicht ab. »Ich habe Frauenprobleme, Miss.« Das war die ewige Trumpfkarte, die Schülerinnen ausspielen konnten. Manchmal verachteten die Schüler sie, weil sie ihre Körper einsetzten, um das System zu missbrauchen. Eifersucht. Keine Lehrerin, die ihre fünf Sinne beisammen hatte, konnte einer Schülerin, die behauptete, »Frauenprobleme« zu haben, den Gang zur Toilette verweigern. Und in der Hälfte der Fälle bedeutete »Frauenprobleme« »Zigarettenpause«. Aber was sollte die Lehrerin da machen? Das System der Toilettenpausen half ihnen da nicht weiter. Wenn eine Frau Probleme hatte, dann hatte sie Probleme. Ipso facto. Auch wenn die cleveren Lehrerinnen den monatlichen Zyklus jedes Kurses hätten ausrechnen können. Aber das wäre ein bisschen zu obsessiv gewesen.
    Ich denke, die Mädchen hätten ruhig deutlich werden und von Anfang an sagen können: »Miss/Sir, ich habe meine Tage.« Statt diesen kryptischen Begriff »Frauenprobleme« zu verwenden. Miss Croal wusste, ihr blieb keine Wahl. »Okay, Rosie, aber beeil dich.«
    Rosie sprang von ihrem Stuhl auf und nahm ihre Tasche mit. Als Nächstes war ich an der Reihe. Ich wollte, dass sich der Staub ein wenig legte. Also wartete ich, bis Miss Croal sich gesetzt und ihre Fassung wieder gewonnen hatte.
    »Miss, könnte ich mal schnell zur Toilette flitzen?«
    »Machst du dich über mich lustig, Clem?«
    »Nein, Miss. Ich muss wirklich.«
    »Die Antwort lautet Nein«, sagte sie und wandte sich wieder ihrer Beschäftigung zu. Das wollte ich ganz und gar nicht.
    »Miss, ich muss ganz dringend.«
    »Clem, du hattest gerade Pause.«
    »Ich weiß, aber da musste ich noch nicht.«
    »Seien wir ehrlich. Du langweilst dich und hast kein Interesse. Du musst gar nicht, oder?«
    »Ich langweile mich nicht. Ich mag Warten auf Godot wirklich gern.«
    »Und ist es nicht ein Zufall, dass Rosie auch gerade gefragt hat?«
    Wusste sie über Rosie und mich Bescheid? Sie klang verärgert. Es war an der Zeit, die schwere Artillerie aufzufahren.
    »Miss, ich muss wirklich gehen.«
    »Nein, das musst du nicht.«
    Inzwischen hatte der Rest der Klasse die Köpfe gehoben, um unseren Wortwechsel zu beobachten.
    »Ich habe Männerprobleme, Miss.«
    Gelächter. Ein bisschen Empörung von den Mädchen. Jede Menge Zustimmung von den Jungen.
    »Männerprobleme?«
    »Ich fürchte, ja.«
    »Okay, Clem, kürzen wir die Sache ab«, sagte sie. In diesem Augenblick zerbrach unsere Beziehung. Ich wurde degradiert und fortan in dieselbe Kategorie wie der Rest der Trabanten eingeordnet. Letzten Endes hätte ihr klar sein sollen, dass wir alle junge Leute sind, die noch lernen, wachsen, unsere eigenen Unsicherheiten und Besonderheiten mit uns herumschleppen und unterwegs eine Menge Fehler begehen. Dass wir emotional alle noch im Wachstum sind. Ich mochte Miss Croal trotzdem und schalt mich selbst, weil ich sie in diese Lage gebracht hatte. Zu dieser öffentlichen Kapitulation. Dieser öffentlichen Demütigung. Und alles nur wegen meiner jugendlichen Probleme.
    Am besten versuche ich, ihr das alles irgendwann später zu erklären, dachte ich, warf mir die Tasche über die Schulter und steuerte die »Toiletten« an. Ich war nicht deshalb an die Schule zurückgekehrt – um mich aus Klassen zu verdrücken und für Störung zu sorgen. Ich wollte niemandem Probleme verursachen. Das war das Letzte, was ich wollte. Halte dich zurück, schließ die Examen erfolgreich ab und lass diesen Ort verdammt noch mal hinter dir. Das war mein Mantra. Ich meine, wie schwer konnte das sein?
    Ich legte Warten auf
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