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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess
Autoren: Brian Conaghan
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Vorhang war gefallen.
     

 
    Raucher
    Etwas allzu Vertrautes lag in dem Gespräch am folgenden Morgen. Als hätte der vergangene Abend nie existiert. Ein seltsames Déjà-vu.
    »Ich will nicht, dass dir wehgetan wird«, sagte Rosie.
    »Ich weiß, dass du das nicht willst«, sagte ich. »Ich hatte nur ein bisschen Angst.«
    »Wir sollten einander beschützen.«
    »Das werden wir.«
    Während sie ihre Sachen für die Schule zusammensammelte, blieb ich stehen und dachte nach, wog die möglichen Eventualitäten, die sich entwickeln mochten, ab. Ich fühlte mich nervös, angespannt, aber auf seltsame Weise zuversichtlich. Ich war froh, dass Rosie und ich über alles gesprochen hatten und dass sie mir beistehen würde, während wir zur Schule gingen. Mein Fels in der Brandung. Der kleine Teufel auf meiner Schulter hatte allerdings anderes im Sinn, er kaute mir permanent am Ohr und zischte: Du benutzt dieses arme Mädchen doch nur für deine eigenen Zwecke. Nichts von dem, was du sagst, hat Substanz.
    Während ich in der Tür darauf wartete, dass Rosie die Treppe herunterkam, übermannte mich ein Gefühl von Schuld. Ich verachtete mich.
    »Bist du fertig?«, rief ich.
    »Nur eine Minute, ich such nur was.«
    »Wir kommen zu spät.«
    »Warum hast du’s denn so eilig?«, fragte sie und sprang die Stufen hinunter.
    Es war ein stiller Tag und noch immer eiskalt. Wir bliesen beide unseren Atem in Kreisen in die Luft. Rosies Kreise waren größer und klarer umrissen. Meine waren jämmerlich und kaum erkennbar. Rosie, das fühlte ich, konnte meine Nervosität spüren. Sie unterbrach die langen Perioden des Schweigens mit witzigen, belanglosen Gesprächen, die nur dazu gedacht waren, mich von dem, was bevorstand, abzulenken.
    »Wie würdest du deine Band nennen, wenn du in einer spielen würdest?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht.«
    »Red kein Blech. Klar weißt du’s. Das Spiel hat doch jeder schon mal gespielt, also los, sag was.«
    » Approaches to Learning «, sagte ich.
    Rosie starrte mich an und verwarf meinen Vorschlag völlig. »Das ist totaler Mist.«
    »Findest du?«
    »Hundertprozentig.«
    »Von mir aus, du Besserwisserin. Und wie würde deine Band heißen?«
    »Keine Ahnung, hab noch nie drüber nachgedacht.« Ich mochte diesen beißenden Witz an Rosie gern.
    »Jetzt erzähl doch nicht solchen Schrott. Na komm schon, ich habe dir meine auch gesagt«, sagte ich.
    »Na okay, aber du darfst nicht lachen.«
    »Ich schwöre.«
    »Okay. Meine würde Bedroom Busker heißen.«
    Ich schwieg einen Moment lang und tat so, als würde ich über die Schönheit des Bandnamens nachsinnen. Ich schloss die Augen, um sie glauben zu lassen, dass ich das für eine originelle Idee hielt.
    »Totaler Schrott«, sagte ich, aber um ehrlich zu sein, gefiel er mir ganz gut.
    »Was?«
    »Ich würde mir nie etwas von einer Band mit einem solchen Namen kaufen.«
    »Du hast ja keine Ahnung.«
    Dann folgte eine weitere Periode des Schweigens, kein unangenehmes Schweigen, aber eines, das mich annehmen ließ, dass Rosie intensiv und sichtlich in sich gekehrt über etwas nachdachte. Von meinem eigenen Dilemma abgesehen musste ihr noch etwas anderes Bedeutsames im Kopf herumgehen. Etwas, das noch mehr drängte als das, was in meinem eigenen Kopf war und sich zum totalen Chaos auswuchs.
    Während wir uns der Schule näherten, begann ich zu glauben, dass diese ganze Episode teil der großen Glasgower Verschwörung gegen mich war. Ich stellte mir vor, wie wir um die Ecke kamen und dort auf McEvoy, die NEDs, Cora, Conor, Miss Croal und Rosies Mum stießen, die zusammen auf der Lauer lagen. Ihre Totschläger und Knüppel bereithielten für das große Schlachtfest. Ein lynchender Pöbel.
    Vor uns beiden erhob sich die rote Sandsteinfassade. Die Schule. Von ein paar eilfertigen Fünft- und Sechstklässlern abgesehen, war kein Mensch zu sehen. Schnell gingen wir hinein. Rosie begleitete mich zu meinem ersten Kurs, Musik, wie ein muskelbepackter Leibwächter. Wir saßen allein im Klassenraum und zupften auf einer der Gitarren herum. Ich spielte ihr Pale Blue Eyes von The Velvet Underground vor und erzählte ihr, das Lied erinnere mich an sie. Eine Lüge. Sie schien davon mehr beeindruckt als von der Melodie. Die Klingel ertönte. Wir umarmten uns liebevoll, bevor Rosie sich auf den Weg zu ihrem Kunstkurs machte.
    »Wir sehen uns dann in Englisch!«
    »Okay.«
    »Oder willst du, dass ich dich hier abhole?«
    »Nein, das ist okay so. Ich komme schon
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