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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess
Autoren: Brian Conaghan
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der Lauer lagen. Zum Sprung bereit. Ich ging in Richtung Musikraum. Kicherte in mich hinein, denn die Ironie der beiden Typen, die auf Godot warteten, war mir nicht entgangen. Nur war ihr Warten voller Erwartung, Verwirrung und vor allem Erregung, meines dagegen war voller Anspannung und Bedrohung. Alle Figuren in dieser Geschichte warteten. Auf der einen Seite Hoffnungslosigkeit, auf der anderen Erwartung.
    Ein bedeutender Unterschied bestand darin, dass mein Godot mit Sicherheit eintreffen würde. Oder war ich womöglich McEvoys Godot? Wartete er oder suchte er? Suchen nach Clem. Nein, das hatte nicht den richtigen Klang. Suchen nach Clem. Nein.
    Jeder Schrei, Ruf oder Singsang wurde verstärkt. Jedes Mal, wenn ich hinter mir ein Geräusch vernahm, boxte mein Herz mich gegen die Brust und meine Rippen ruckten. Ich wartete nur darauf, dass als Nächstes das unverwechselbare »Ha! Der englische Wichser« ertönte. »Was hab ich dir gesagt? Solltest du denn wieder in diese Schule kommen?«
    Vielleicht wäre es wesentlich besser, wenn der körperliche Angriff gleich am Anfang erfolgte, ohne Vorwarnung, um unnötige verbale Konfrontation zu vermeiden. Ein paar Boxhiebe an den Kopf, ein paar harte Schläge in die Nieren, eine Reihe von Stiefeltritten in den Magen (den ich für sie anspannen würde). Ein schneller Ansturm. Viel besser, wenn es im Schulgebäude passierte, denn ich glaubte, so würde es höchstens ein paar Sekunden dauern, ehe mir unvermeidlich jemand zu Hilfe kommen würde, ein aufmerksames Mitglied des Lehrkörpers. Ein echter Profi. Integrität.
    Alles, was außerhalb der Schule passierte, mochte ein gnadenloses Gemetzel ohne Regeln werden. Meiner Erfahrung nach machen die Lehrer sich nicht gern die Hände schmutzig, indem sie sich in irgendwelche Faxen einmischen, die außerhalb der Schultore stattfinden. Außerhalb ihrer Befehlsgewalt. Außerhalb ihrer Schule. Auf diesen Gängen und in ihrer Umgebung war ich in Sicherheit.
    Ich erreichte den Musikraum unversehrt. Ein paar der Emo- und Grungier-Kinder waren mir zuvorgekommen und hatten sich die besten Gitarren geschnappt. Sie versuchten, ein paar Leitakkorde von Green Day oder einer ähnlichen Band zu spielen. Ich mag diese Art von Schülern gern. Im Allgemeinen sind sie freundlich, nicht aggressiv und wirklich an ihrer Musik sowie an ihrem Image interessiert. Mit den Resten des Kayalstifts der letzten Nacht sahen sie aus wie Ghuls, die Gesichter erschöpft von Orgien an der Playstation und die Arme mit Silber und Lederaccessoires behängt. Sie sprachen eine wilde Mischung aus Glasgower Dialekt und pseudo-amerikanischem Slang. Warfen sich Phrasen zu wie: »Check mal dieses coole kleine Stückchen, Kerl.« Ich fand es amüsant. Ich war gern unter diesen Kerlen im Musikraum. Bevor ich dazu kam, eine Akkordfolge aus A D E7 A zu spielen und versuchsweise die Schönheit von Dylans Visions of Johanna einzufangen, ertönte bereits die Glocke. Ich sang die erste Zeile vor mich hin. Ich dachte daran, Johanna durch Rosie zu ersetzen, aber das klappte mit den Silben nicht. Zurück in den Englischraum. Zurück zum Warten.
    Wieder kam ich zu spät in den Kurs. Eine Wolke kalten Zigarettenrauchs wallte durch den Raum und schlug mir genau ins Gesicht, als ich eintrat. Gingen alle in diesem Kurs in der Pause sofort in die Raucherecke? Verzichtete keiner darauf? Meine Verspätung, zum zweiten Mal in nur einer Unterrichtseinheit, kam bei Miss Croal nicht allzu gut an.
    »Das ist das zweite Mal in diesem Kurs, Clem.«
    »Tut mir leid, Miss, ich bin im Musikraum aufgehalten worden.«
    »Einmal kann es jedem passieren, aber das zweite Mal ist die sprichwörtliche Herausforderung.«
    »Es wird nicht wieder passieren, Miss.«
    »Das genügt nicht«, sagte sie, als schimpfte sie ein Kind aus. Ich wusste nicht recht, wie ich reagieren sollte. Schweigend stand ich da und sah sie an.
    »Ach, setz dich einfach hin.«
    Ich denke, sie wollte dem Rest der Klasse etwas beweisen. Ihre Autorität ausspielen. Zeigen, dass sie alle Schüler gleich behandelte. Keine Lieblinge hatte. Keine Favoriten. Keinen Schwarm. Sie versuchte, Gerüchte zum Schweigen zu bringen. Versuchte, die Mädchen auf ihre Seite zu bekommen. Ihre Durchschaubarkeit war peinlich. Ich sah Cora an, die mir ein halbes herablassendes Grinsen sandte und langsam den Kopf schüttelte. Sie wusste eindeutig von den Gerüchten. Meiner Ansicht nach war sie für ihre Verbreitung verantwortlich. Sie stand ganz oben auf meiner
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