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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess
Autoren: Brian Conaghan
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klar.«
    »Was, wenn du ihm begegnest?«
    »Wir halten uns an den Plan.«
    Der Kurs war eine angenehme Abwechslung. Zwei Stunden lang schrieben wir Akkord-Progressionen und versuchten, nicht anders zu klingen als alle anderen. So sehr ich mich bemühte, originell zu sein, es klang alles minderwertig und teenagerhaft. Außerhalb meines eigenen Zimmers würde ich nie etwas erreichen. Es war mein Schicksal, für immer ein bedroom busker  – ein Schlafzimmermusikant – zu bleiben. Die Klingel ertönte, und mein Herz begann zu rasen wie ein Sprinter, der aus dem Block schnellt. Ich blieb zurück, gab vor, aufzuräumen, packte umständlich Gitarren zurück in ihre Hüllen, Plektren in ihre Kisten und Notenblätter in ihre Ordner. Ich begann sogar, die Stühle unter die Tische zu schieben, bis der Lehrer mitbekam, was ich da machte.
    »Das genügt, Clem. Du kommst zu spät zu deiner nächsten Stunde.«
    »Ja.«
    »Danke. Wir sehen uns dann morgen.«
    Das hoffte ich. Ich hoffte es wirklich.
    Eilig ging ich hinüber zum Englischraum. Miss Croal schien froh, mich zu sehen, als ich in die Klasse stürmte. Die anderen hatten ihre Köpfe bereits in irgendeiner Lektüre vergraben. Warten auf Godot. Ich hatte nicht den Mut, ihnen zu sagen, dass er nie kommen würde. Es würde sie entweder fesseln oder sprachlos machen.
    Rosies Augen waren fest auf mich gerichtet. Ohne Zweifel war sie erleichtert, dass ich es unversehrt von einem Klassenraum zum anderen geschafft hatte. Sie zwinkerte mir heimlich zu. Heimlich und sehr liebevoll. Cora Kelly, die neben Rosie saß, zog eine komische Grimasse, die suggerieren sollte, dass ich in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte.
    »Es tut mir leid, dass ich zu spät komme, Miss.«
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte sie in ziemlich anbiederndem Ton. »Wie ich sehe, ist dein Auge schon viel besser.« Mein Auge war in der Tat schon viel besser, nur unter der Augenhöhle war es noch ein bisschen gelblich verfärbt, aber die Schwellung war weg. Sicher hatte all das Herumwandern in der Kälte in den letzten zwei Tagen ihm gutgetan.
    »Ja, es war wirklich nicht schlimm.«
    »Wie du gesagt hast.«
    »Wir haben gerade angefangen, Becketts Warten auf Godot zu lesen«, sagte sie und gab mir ein Exemplar des Stücks. »Du bist vertraut damit, oder nicht?«
    »Wir haben es in meiner alten Schule gelesen«, sagte ich.
    »War ja klar«, platzte jemand hinter mir heraus. Cora Kelly.
    »Einige von uns lesen gerade die Einführung«, sagte Miss Croal.
    Ich nahm das Buch, ging damit zu meinem Platz, schlug es bei der Einführung auf und begann zu lesen. Ich war auf vertrautem Terrain. Der Platz des Menschen in der Gesellschaft. Die Bedeutung der Existenz. Warum sind wir hier? Warum tun wir die Dinge, die wir tun? Und tun dann alles noch mal von vorn? Beckett erfasste und artikulierte es in einer künstlerischen, konzentrierten Form. Ich flüsterte lediglich: »Zum Teufel damit«, während ich Antworten auf weit größere Fragen suchte. Irgendwann würde ich aufgeben und nach keiner Antwort auf manche Fragen mehr suchen. Eine davon war diese Schule.
    Die beiden Stunden flogen nur so vorüber. Wie es die Zeit grundsätzlich tut, wenn man es gar nicht will. Die Zeit spielt Spiele mit uns. Der große Zeiger schlägt hart zu. Wenn wir wollen, dass sie langsamer wird, beschleunigt sie, und wenn wir sie schnell brauchen, kriecht sie dahin. Ich gab vor, weiter Beckett zu lesen. Die Worte rauschten mir durch den Kopf, ohne Sinn und Bedeutung. Ich war meilenweit weg. Die Klingel hörte sich an wie eine Totenglocke. An der Tür wartete Rosie auf mich. Cora lungerte herum, weil sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.
    »Kommst du mit zum Rauchen?«, fragte sie Rosie.
    Rosie sah mich an, als wartete sie auf meine Zustimmung, die ich ihr mit einem schnellen Seitenblick gab.
    »Wir sehen uns dann in zehn Minuten«, sagte sie. Cora war schon losgegangen, um sich ihr Nikotin zu verschaffen. »Clem, ich bleibe hier, wenn du willst.«
    »Nein, nein. Geh du nur. Ich komme klar. Ich gehe runter in den Musikraum und fummele da ein bisschen herum.«
    »Wenn du ihn siehst, geh einfach in die andere Richtung.«
    »Und was ist mit dem Plan?«
    »Dazu hast du jetzt keine Zeit. Uns bleiben nur noch ungefähr acht Minuten.«
    »Okay, dann beeil dich lieber. Wir sehen uns hier.«
    Hinter jeder Ecke, jeder Biegung, jedem Haken und jeder Öse des Schulgebäudes erwartete ich, dass McEvoy und seine Spießgesellen auftauchen würden. Auf
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