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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess
Autoren: Brian Conaghan
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Schließlich habe ich mich deswegen für diesen Beruf entschieden.
    Nein, ich habe die Schule nicht als besonders schwierig empfunden. Natürlich hatte ich keine Vergleichsmöglichkeiten, aber verschiedene Mitglieder des Kollegiums überzeugten mich davon, dass es eine Schule war, in der sich erträglich arbeiten ließ. Meine eigene Schulzeit war von meinen Erfahrungen als Lehrerin nicht weit weg.
    Die Schule war voller Individualisten. Das gefiel mir und galt für die Schüler wie für das Kollegium. Es ist fair, zu sagen, dass einige der älteren Mitglieder des Kollegiums es nicht mochten, wenn Staub aufgewirbelt wurde. Sie ziehen es vor, wenn alles beim Alten bleibt. Sämtliche Stereotypen, vor denen wir als Studenten gewarnt wurden – Kaffeebecher und bestimmte Stühle, die bestimmten Lehrern vorbehalten bleiben – sie entsprechen alle der Wahrheit. Eine solide Front aus Feindseligkeit war spürbar. In Lehrerzimmern herrscht eine straffe Hierarchie.
    Nachdem ich die binnenpolitische Lage ein paar Monate lang beobachtet hatte, hielt ich sie für verstaubt und verbittert. Der Wunsch nach Veränderung schien nicht zu existieren. Zu viele Lehrer sind in ihren Methoden festgefahren. Sie warten nur noch, bis es klingelt oder bis die Sommerferien beginnen. Und dann war da der Zynismus, der an mir nagte. Viele meiner Kollegen hatten über die Schüler, die sie unterrichteten, kein positives Wort zu sagen. Um ehrlich zu sein, war ich ein wenig überrascht von der puren Ablehnung und der Verachtung, die sie ihrem Beruf entgegenbrachten. In anderen Branchen wären sie gefeuert worden. Viele Lehrer aber schließen einfach ihre Türen und praktizieren Methoden, die im modernen Unterricht nichts zu suchen haben. Es ist zu schwierig geworden, heutzutage Lehrer zu feuern. Damit das passiert, muss jemand eine bestimmte Schwelle überschritten haben.
    Ich gerate ins Schwatzen. Das ist eine Schwäche von mir. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich hier verallgemeinere, denn nicht alle Lehrer waren so. Manche von uns waren wirklich interessiert. Ich war interessiert an meinen Schülern und ich bemühte mich um sie. Ich hatte mir vorgenommen, meine Schüler zu ermutigen und in ihnen eine Liebe für mein Fach zu wecken. Nein, immer funktioniert hat das nicht. Ich vermute, das ist eben der Alltag eines Lehrers.
    Man könnte behaupten, ich hätte meine Schüler benutzt, um mich über die Schwierigkeiten im Lehrerzimmer hinwegzutrösten. Sie waren mein Zufluchtsort. Ich war ständig auf der Hut, damit die Leidenschaft und Begeisterung, die ich für mein Fach an den Tag legte, nicht missverstanden oder missbraucht wurde. Das war eine Gefahr. Es ist der Albtraum eines jeden Lehrers. Ich bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme.
    Die Klasse war, wie zehnte oder elfte Klassen eben sind: Manche hatte echtes Interesse an Englisch, andere legten Apathie an den Tag. Manche waren ruhig und unauffällig, während andere Krawall schlugen. Einfach eine gewöhnliche Klassenzimmermischung.
    Rosie Farrell? Nein, an Rosie ist mir nichts Seltsames aufgefallen. Ein typisches Oberstufen-Mädchen, voller Teenager-Sorgen und falsch verstandener Rebellion. Sie hatte etwas mit mir … nein, so meine ich es nicht. Ich wollte sagen, sie verhielt sich aus irgendwelchen Gründen abweisend und feindselig. Wir entwickelten nicht gerade eine ausgeprägte Lehrerin–Schülerin-Beziehung, das muss ich zugeben. Ich hatte den Eindruck, sie glaubte, ich hätte anderes im Sinn, als die Schüler für das Fach zu interessieren und erfolgreich durchs Examen zu bringen – obwohl es mir nur darum ging. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie darauf kam. Und ich stelle bestimmt keiner Sechzehnjährigen Fragen zu einem solchen Thema. Schließlich war ich diejenige, die die verantwortungsvolle Stellung hatte. Ich musste Reife beweisen, Führungsqualitäten und Integrität. Eine Schülerin zur Rede zu stellen, nur weil man das sichere Gefühl hat, dass die einen nicht mag, ist unprofessionell und kurzsichtig. Ich fürchte, ich war mir meiner selbst und meiner Methoden auch nicht so sicher.
    Davon abgesehen hatte ich den Eindruck, dass Rosie ein intelligentes Mädchen sei und enorm schlagfertig obendrein. Ich war der Meinung, sie sei mehr als in der Lage, alles zu erreichen, was sie wollte. Um ehrlich zu sein, ich mochte ihre Individualität oder ihren Wunsch, individuell zu sein. Allem Anschein nach flog sie nicht auf Dinge, nur weil ihre Altersgenossen sich dafür
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