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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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erklärt. In einer Wohngemeinschaft bedeutet eine geschlossene Tür: Ich brauche meine Ruhe. Zum Lesen, Denken, Gammeln, Pornogucken, ganz egal wofür. My room is my castle. Wir alle erinnern uns noch daran, wie wichtig ein eigenes Zimmer im Elternhaus gewesen ist. Und dessen Unantastbarkeit. Und wie wir uns danach gesehnt haben, endlich ganz auszuziehen. In unser eigenes Reich. Und kaum haben wir das geschafft, ziehen wir wieder mit jemandem zusammen. Ja, herzlichen Glückwunsch. Doch ist nicht jedes Zusammenleben eine Wohngemeinschaft?
    Ich war jetzt drei Wochen bei ihr in Berlin. Und wollte gar nicht mehr zurück zu mir nach Zürich. Ich saß stundenlang in meinem Raum, als wär’s ein anderer Planet. Ja, wenn das geht! Dann geht auch alles andere. Zum Beispiel alleine ausgehen. Das will man ja hin und wieder. Und dabei nicht auf die Uhr sehen. Oder mit Freunden allein in der gemeinsamen Wohnung sein. Die besuchen jetzt mich. Nicht dich. Oder allein joggen. Weil jeder seinen eigenen Rhythmus beim Laufen hat. Oder allein telefonieren. Allein mailen.
    Das hört sich alles selbstverständlich an. Aber es gibt die täglichen Grenzüberschreitungen in einer Beziehung, es gibt sie ohne Ende. Stell dein Handy aus, und du kriegst ein Problem. Warum hast du es ausgestellt? Was hast du in der Zeit gemacht? Wobei wolltest du nicht gestört werden? Und wie reagiert ein Partner, wenn man ihm das Paßwort für die eigene E-Mail-Adresse nicht gibt? Begeistern wird ihn das nicht. Es muß ihn auch nicht begeistern. Er muß es einfach nur akzeptieren. Mails an mich sind nicht für dich. My Yahoo is my castle. Und kein Blog, in dem jeder rumfummeln kann. Ach, noch etwas, bevor ich es vergesse. Ich bin auch ganz gern allein auf Toilette. Und platze auch ungern rein, wenn sie draufsitzt. Ich habe innere Bilder von ihr. Wie sie lacht, wie sie weint, wie sie tanzt, wie sie träumt, aber ein inneres Bild davon, wie sie auf dem Klo hockt, brauch ich nicht. Zu viel Nähe schafft neue Distanz. Mit dem Alleinsein und Zusammensein ist es wie mit dem Atmen: einatmen – ausatmen – einatmen – ausatmen. Wer nur das eine will, platzt irgendwann.

Freiheit von der Freiheit
    A lle sagen, ich sei unheimlich frei. Wieso? Unheimliche Freiheit braucht unheimliche Disziplin. Für meine Unabhängigkeit nach außen versklave ich mich nach innen. Anders geht es nicht. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe eine «Rent a boss»-Agentur. Man mietet sich ein Ekel, das einmal am Tag vorbeikommt, die Arbeit sehen will und einen zusammenschreit. Einen Miet-Sklaventreiber, einen Call-Choleriker, mit bezahlbaren Tarifen. Das würde vieles vereinfachen und wäre einigermaßen absurd. Aber das Streben nach Freiheit ist ohnehin voller Absurditäten.
    Alle Männer, die ich am Amazonas gefragt habe, warum sie Goldsucher geworden sind, antworteten dasselbe: Weil sie keinen Boß wollen, keine Polizei und keine Frau. Dafür nehmen sie Dauerregen, Moskito-Wolken, Malaria-Attakken und schlecht heilende Wunden in Kauf sowie bissige Schlangen, bissige Fische und bissige Indianer, um nur das Gröbste zu nennen, und davon auch nur einen kleinen Teil. Keine Macht für niemand, aber alle Macht dem Regenwald. Kein Boß ist so brutal wie die Natur. Absolute Diktatur. Außerdem: Ausgangssperre ab siebzehn Uhr. Nach Anbruch der Dunkelheit darf niemand das Feuer, das Lager, die Hängematten verlassen. Sonst wird er gefressen. Ist das frei? Ist das eine ernstzunehmende Alternative zu den Zwängen der Zivilisation?
    Meine Karriere als freier Mann begann in Amsterdam, wo die Joints wie brennende Tulpen glühen. Die Folgeerscheinungen definierten Freiheit folgendermaßen: Nie vor elf aufstehen, um zwölf frühstücken und nur arbeiten, wenn es Spaß macht. Am meisten Spaß machte es auf Amphetaminen, und tausend Rock-’n’-Roll-Vokalisten versprühten ihren Speichel dazu. Mit zu dieser Freiheit gehörte, daß (fast) jede größere Stadt eine Autobahnzufahrt hat. Und (fast) jede Hand einen Daumen. Die Freiheit, auszuschlafen, die Freiheit der Straße. Wenn man jung ist, nennt man das «Rolling Stone», wenn man alt ist, Penner. Wenn Sex and Drugs and Rock and Roll zu Oldies geworden sind, nennt man es das Ende der Autobahn. Und Fragen kommen auf.
    Ist Freiheit ein Ammenmärchen? Vieles spricht dafür. Ich MUSS essen, ich MUSS trinken, ich MUSS aufs Klo. Befreiung vom Körper gibt es nicht. Von den Gefühlen auch nicht. Rainer Langhans arbeitet seit dreißig Jahren daran, die Eifersucht
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