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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Carmen Rohrbach
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französischem Boden einen Schlafplatz ausfindig zu machen. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, wußte nur, daß ich einen einsamen, ungestörten Ort suchte. Zuerst folgte ich dem Fluß Nive. Die dichte Vegetation am Ufer war tropfnaß. Hier würde ich kein trockenes Plätzchen zum Schlafen entdecken. Es begann schon zu dämmern. Da schien es mir besser, eine kaum befahrene Landstraße als Wanderweg zu wählen: Weideland, runde Kuppen, ein Wäldchen dazwischen; es hörte sogar auf zu regnen. Und sofort machten sich die Vögel in den Büschen und Bäumen beiderseits der schmalen Straße bemerkbar. Sie schüttelten die Regentropfen aus dem Gefieder und schmetterten aus vollen Kehlen. Es war ja Frühling. Da gab es die clownhaften Stieglitze mit ihren roten Kopfhauben und den quittengelben Flügeln, die zitronenfarbenen Girlitze, die in höchsten Tönen ihre Lider sirrten, als würde eine dünne Schnur ganz schnell durch die Luft geschwungen und sogar Schwarzkehlchen, die mit wid wid, fit, kr-kr lockten. Lauter Vögel, die bei uns in Deutschland sehr selten geworden sind, und hier hüpften sie in Mengen im Straßengebüsch herum, selbst in der Nähe der Ortschaften. Dabei werden Singvögel in Südfrankreich sogar gejagt, in Deutschland dagegen sind sie geschützt. Aber kein Lebewesen hat etwas von der guten Absicht, unter Naturschutz zu stehen, wenn ihm andererseits der Raum zum Leben zerstört wird. Wie der Garten meiner Kindheit, der von allen Pflanzen und Tieren gesäubert, in eine sterile Rasenfläche umgestaltet wurde.
    Endlich erreichte ich doch noch eine Ortschaft. Sie sah neu gebaut aus, meistens Einfamilienhäuser im Einheitsstil. Alle Fensterläden und alle Türen waren weinrot gestrichen. Menschen sah ich keine. So ging ich eben weiter und kam nach Lacarre. Inzwischen war es fast dunkel. Zu regnen hatte es nicht wieder begonnen, aber die Erde war noch vollgesogen von all der Nässe. Ich verspürte aber immer noch keine Lust, Menschen zu begegnen und mich dem Lärm eines Gasthauses, einer Auberge, auszusetzen, wo ich um ein Nachtlager hätte fragen müssen. Außerdem besaß ich ja nur spanische Peseten. Es begann bereits dunkel zu werden. Da erblickte ich am Ortsrand eine Kirche. Ich drückte sachte die Klinke hinunter - mein Herz hüpfte vor Freude - offen! Ein warmer stiller Raum. Ich fühlte mich sofort geborgen und aufgenommen, als wäre ich hier zu Hause und lief die Treppe zur Orgel empor. Schöne glatte Holzdielen, Platz genug für meine Matte und den Schlafsack. Ich hatte gerade den Rucksack abgesetzt und den Regenponcho zum Trocknen ausgebreitet, da hörte ich ein lautes Knacken, und ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß - eingeschlossen! Oh! Und ich hätte doch noch mal hinausgemußt! Vorsichtig schlich ich zur Tür, drückte behutsam die Klinke nieder - tatsächlich! Sie war zu! Na, trotzdem war ich froh über mein Glück, noch vor dem Zuschließen dagewesen zu sein.
    In der Nacht wachte ich auf. Weiches Mondlicht fiel durch die hohen Fenster, streifte über die Holzbänke und legte sich auf das samtige Altartuch. Um wieviel schöner ist doch eine Kirche bei Nacht, dachte ich und wollte den Raum mit seiner stillen Ausstrahlung und seinem alles umfassenden Frieden noch lange genießen, doch da schlief ich wohl schon.
    Gegen sieben Uhr kam der Küster und schloß die Tür auf.
     

2 Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles
     
    Ohne zu säumen laufe ich nach St.-Jean-Pied-de-Port, denn ich habe es eilig, die Strecke über den Paß zu schaffen. Dabei würde die Morgenstimmung zum Bleiben verlocken. Die Wiesen geben dampfend die Feuchtigkeit ab. In dicken Schwaden steigt der Nebel empor und wird von den Sonnenstrahlen vergoldet. Ein roter Milan kreist der Sonne entgegen, weit spreizt er den gegabelten Schwanz. Ein Bussardpärchen schraubt sich höher und höher. Das Männchen stößt schrille, langgezogene Schreie aus. Es ist sein Balzruf. Er soll das Weibchen zur Paarung stimulieren und mögliche Rivalen abschrecken.
    Mit einem Satz springt eine Rötelmaus aus der noch nassen Krautschicht auf den Asphalt. Sie hockt sich auf die Hinterbeine und beginnt in Seelenruhe, ihr etwas ramponiertes und feuchtes Fell mit dem Schnäuzchen zu lecken, mit den Vorderpfoten zu striegeln und zu kämmen. Es ist noch ein junges Tier, erst halb so groß wie eine erwachsene Rötelmaus, deshalb ist sie vielleicht so unvorsichtig, sich ohne Deckung auf die Straße zu setzen. Ich schleiche mich an, nur noch
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