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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg
Autoren: Carmen Rohrbach
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ist zerstört worden. Es war das Weinstädtchen Freyburg. Abgeholzt sind die dichten Buchenwälder, die ich als Kind durchstreifte. Das Wasser des Flusses Unstrut ist vergiftet. Ich konnte noch in der Unstrut schwimmen und bis auf den Flußgrund tauchen, um Kiesel heraufzuholen, immer mit der Erwartung, einmal einen Edelstein oder Goldklumpen in der Hand zu halten. Vielleicht ist jedes Wiedersehen mit der Heimat, von der man sich lange entfernt hat, eine bittere Enttäuschung. Wenn man die Veränderungen nicht mitvollziehen konnte, bewahrt die Erinnerung ein schöneres, vielleicht auch verklärtes Bild.
    Der Franzose, der immer noch zwischen einer Fensterseite des Zuges zur anderen hin und her eilte und seinen Kopf hinausstreckte wie ein Huhn den seinen aus einem Gitterkäfig, machte auf mich keinen frohen Eindruck. Spitz stach die Nase aus dem blassen, ernsten Gesicht und die Augen bewegten sich unstet auf der Suche nach etwas, was sie nicht finden konnten. Ich wünschte ihm, daß er am Bahnhof von einem lieben Menschen abgeholt wird.
    Ich stieg aus in St.-Jean-Pied-de-Port. Es regnete sachte. Ich lief durch die schmalen Straßen. Pflaster und Dächer glänzten regennaß. Ich folgte einer Gasse, die bergauf führte. An einigen Türen sah ich das Pilgerzeichen, die Muschel: ins Holz geschnitzt, aus Metall gearbeitet oder die aus dem Meer, die richtige, handtellergroße Pectenmuschel. Seit die Menschen zum Grab von Jakobus pilgern, ist sie der Beweis, daß man tatsächlich in Santiago war. Nur wenige Tagesmärsche von der Jakobsstadt entfernt wird sie vom Atlantik an den Strand gespült. Legenden erzählen von der Entstehung der Muschel als Pilgerzeichen. So soll ein Ritter, der zum Grab gepilgert war, auf der Flucht vor Wegelagerern ins Meer gesprungen sein. Als er schließlich wieder rettendes Land erreichte, war er über und über mit Muscheln bedeckt. Das wurde als Zeichen gewertet, daß ihm der heilige Jakobus beigestanden hatte. Eine andere Geschichte geht noch weiter zurück in die Vergangenheit: Eine Barke näherte sich dem Land. Im Boot befand sich der Leichnam des Heiligen, den seine Jünger in Spanien bestatten wollten. Wieder kam ein Reiter ins Spiel. Der arme Mann erschrak mächtig, weil das Boot mitten in der Nacht von einem überirdischen Licht erstrahlte. Voller Angst sprang er samt Pferd von den Klippen hinab ins Meer.
    Er wurde gerettet, und abermals hafteten an seinem Körper unzählige Muscheln.
    Der Stadtname St.-Jean-Pied-de-Port bedeutet: der heilige Johann am Fuß des Passes, gemeint ist der Paß von Roncesvalles oder auch Ibañetapaß genannt. Das Städtchen ist die letzte Ortschaft vor der französisch-spanischen Grenze und gehört zum französischen Department Pyrénées-Atlantiques. Der Auszug der Pilgergruppen fand früher feierlich unter dem Geläute aller Glocken statt. Denn nun galt es, die Pyrenäen zu überschreiten. Eine harte, strapazenreiche Strecke lag vor ihnen. Viele trugen dazu noch schwere Kreuze bis zum Ibañetapaß hinauf.
    Die Altstadt von St.-Jean-Pied-de-Port ist von einer mächtigen Wehrmauer umschlossen. Die Bezeichnung »umschlossen« stimmt nicht mehr, denn Häuser und Straßen befinden sich inzwischen auch außerhalb der Mauer. Ich stieg die steilen Stufen zur Mauer hinauf. Oben war ein breiter Wehrgang. Ich schaute durch die Schießscharten hinab, sah Bistros mit tropfnassem Gestühl davor und von oben die Regenschirme, einige als bunte Scheiben, andere als große schwarze Pilze, die sich wie von selbst durch die Straßen zu bewegen schienen. In einem Gemüsegarten kläffte ein winziger, schwarzer Hund zu mir herauf. Er war wütend, vielleicht weil ich für ihn unerreichbar weit, hoch oben auf der Stadtmauer stand. Während meiner Wanderung sollten sich die Hunde mir gegenüber meist so erbost verhalten.
    Es war inzwischen später Nachmittag geworden. Ich wollte mir kein Zimmer in der Stadt nehmen. Nach der langen Bahnfahrt verspürte ich große Lust zu laufen und Natur um mich zu haben, wollte Erde unter und Himmel über mir fühlen. Nur spielte das Wetter nicht mit, denn es regnete zwar leicht, aber ohne Unterlaß. Wie würde es erst dort oben sein? Einen vollen Wandertag braucht man, bis der Paß überwunden ist. Da ich wegen des Gewichtes kein Zelt dabei hatte, war es mir zu unsicher, mich darauf zu verlassen, irgendwo einen Unterschlupf zu finden. Ich beschloß, erst am nächsten Tag mit dem Aufstieg zu beginnen. Für diese Nacht galt es, noch auf
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