Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Wort kann den Weg zur Heilung weisen.«
    »Ich kann das Wasser nicht mehr halten«, antwortete die Frau. »Es rinnt mir weg, und ich muß Tücher zwischen meine Beine stopfen, um es aufzuhalten.«
    Jintao warf einen schnellen Blick zu Peihui und nickte. »Was sagt dein Arzt?« fragte er die Frau.
    »Ich hätte eine schwache Blase, im Alter ließen die Muskeln nach, die alles zusammenhalten.«
    »Wie alt bist du?«
    »Meine Mutter sagt, ich sei zweiundsechzig. Sie ist fünfundachtzig. Aber die kann das Wasser noch halten.«
    »Spürst du ein Brennen beim Wasserlassen?«
    »Ja, es ist wie viele kleine Stiche.«
    Jintao legte die Hand auf den Kopf der Frau, und sie zuckte zusammen und schloß ergriffen die Augen. »Du hast eine Zystitis«, sagte er.
    »Werde ich sterben müssen?« fragte die Frau und schwankte auf ihrem Hocker.
    »Sicherlich, aber nicht an dieser Krankheit. Ich werde dir Tabletten mitgeben, Antibiotika; den Namen brauchst du nicht zu behalten. Behalten mußt du nur und darfst es nicht vergessen: Morgens und abends schluckst du nach dem Essen mit etwas Tee eine Tablette. Behalte es gut: nach dem Essen, und nach sechs Tagen wird dir das Wasser nicht mehr die Beine hinunterrinnen. Geh zu Peihui, sie gibt dir die Tabletten.«
    Die Frau erhob sich, aber plötzlich fiel sie auf die Knie, beugte sich tief hinab und küßte Jintaos Füße.
    »Komm her«, sagte Peihui und hob die Frau auf. Sie führte sie zu dem kleinen Jade-Pavillon, ergriff ihre Hand und legte sie kurz auf den Dachfirst mit dem goldenen, lachenden Drachen. »Spürst du die Kraft, die in dich strömt?«
    »Ich habe so viel Kraft wie nie«, flüsterte die Frau. »Es wird heiß in meinem ganzen Körper.«
    Peihui nickte, führte sie an der Hand zu einem Tisch an der Wand des Raumes und gab ihr das Medikament. Als die Frau durch die Tür kam, blieb sie an der steilen Treppe stehen und blickte über die Schlange der Wartenden.
    »Erzähle, wie es war!« rief einer aus der Menge. »Hat er deine Krankheit erkannt?«
    »Es ist ein Wunder«, antwortete die Frau, und alle hielten den Atem an. »Ich habe ein Wunder erlebt. Ich habe vor einem Heiligen gesessen.«
    Aber Liu, unberührt von ihrer Ergriffenheit, hob den Arm und rief: »Der nächste!«
    Sechsundsiebzig Kranke zu untersuchen, mit ihnen zu sprechen, ihre Sorgen anzuhören, die manchmal erst die Krankheit ausgelöst hatten oder eine Besserung verhinderten, das braucht seine Zeit. Deng Jintao war kein Arzt, der jeden Patienten in fünf Minuten behandelte; für jeden hatte er die Zeit, die dieser brauchte, um sein Leiden zu schildern, oder die Untersuchung auf der hölzernen Pritsche hinter dem Magnolienbaum war so gründlich, daß die Minuten manchmal zu halben oder ganzen Stunden wurden.
    Geduldig warteten draußen die anderen Kranken; sie hockten auf der Erde, ließen die Thermoskannen kreisen, bereiteten sich ihren grünen Tee zu, und jedesmal, wenn ein behandelter Patient durch die Tür kam, richteten sich aller Augen fragend auf ihn, und jeder Patient sagte mit andächtiger Stimme: »Das ist kein Mensch mehr, das ist ein Gott. Er hat meine Krankheit sofort erkannt. Schon der Blick aus seinen Augen heilt, und sein Jade-Pavillon ist ein Gefäß von kleinen Sonnenstrahlen. Ich fühle mich wie von einer Last befreit.«
    Am wundersamsten war es, als man den alten Mann, der in einer Decke lag und nicht stehen konnte, ins Haus trug und er aus eigener Kraft zurückkam, seine Beine bewegte und über die Wartenden hinweg schrie: »Gott ist allmächtig und lebt in Jintaos Händen. Er hat mich auf ein Brett gelegt, sich auf mich gesetzt, mich an Schultern und Hüfte gepackt, und dann gab es einen Ruck, Schmerz zuckte durch meinen Rücken und meinen Kopf, und dann sagte er: ›Steh auf und gehe!‹ Und ich bin aufgestanden und bin gegangen. Seht mich an, ich kann wieder laufen! Ein Wunder ist an mir geschehen.«
    Und durch die Wartenden lief ein Schauer, den auch Lius Ruf: »Der nächste!« nicht vertreiben konnte.
    Im Innenhof wusch sich Jintao die Hände in einem Wasserzuber und trank zur Entspannung ein Glas Bier.
    Selbst Peihui war von der Heilung des Gelähmten überrascht und fragte, als sie ihm das Glas Bier reichte: »Wie hast du das gemacht? Als du seinen Körper mit einem groben Griff verdrehtest, hörte ich die Knochen knirschen, und ich dachte: Jetzt hat er ihn getötet. Was wird er nun den anderen sagen? Aber der Mann stand auf und konnte wieder gehen.«
    Jintao lächelte, trank das Bier und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher