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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine Zeitfrage, wann man Tong Jian irgendwo aufgreifen würde. Die Geheimpolizei von Kunming war bereits verständigt worden. Der sonst träge arbeitende Staatsapparat lief plötzlich mit großer Geschwindigkeit und Präzision. Die Verhaftungen geschahen im Blitztempo, noch bevor die Betroffenen fliehen konnten.
    »Wir glauben Ihnen«, sagte Song leichthin, »daß Sie von den Umsturzplänen der Studenten keine Ahnung gehabt haben.«
    »Ich bin völlig überrascht worden. Erst nach der Demonstration für Hu Yaobang wußte ich, daß mein Sohn darin verwickelt war. Es hat zwischen ihm, Tong Jian und mir lange Diskussionen gegeben, aber mit den beiden war nicht mehr zu reden. Sie waren blinde Idealisten.« Pohland erwartete eine Entgegnung, aber Song schwieg. »Machen Sie mir einen Vorwurf, daß ich meinen Sohn oder Tong Jian nicht an die Polizei ausgeliefert habe?«
    »Nein. Wir haben Ihre Verdienste für China dagegen aufgerechnet. Welcher Vater verrät seinen Sohn?« Song schüttelte den Kopf, aber plötzlich fragte er: »Kennen Sie Bai Hongda?«
    »Er war ein paarmal unser Gast.«
    »Sie wußten nicht, daß er einer der Köpfe der Studentenbewegung war?«
    »Nein. Ich sagte Ihnen doch: Bis zur Demonstration für Hu war ich völlig ahnungslos. Demokratie und Freiheit, ja, davon wurde oft gesprochen, und Dengs Öffnung nach Westen berechtigte zu Hoffnungen, zumal Gorbatschows Glasnost ein Vorbild sein konnte. Aber wer hätte daran gedacht, daß ein weltoffenes China durch eine neue Revolution erzwungen werden sollte? Ich hätte den jungen Männern gesagt, daß sie damit genau das Gegenteil erreichen. Deng Xiaoping war auf dem richtigen Weg; was der Jugend fehlt, ist die Geduld. China besteht seit fünftausend Jahren – was für eine Rolle spielen ein paar Monate oder Jahre, wenn sich vieles ändern soll? Auch Rußland wird noch Jahre brauchen, um zu begreifen, daß es in eine neue Zeit eingetreten ist.«
    »Sie sind ein weiser Mann, Professor Pohland«, sagte Song mit hörbarem Bedauern. »Es ist ein Verlust für China, daß Sie gehen müssen.«
    Am 6. Juni besetzten Geheimpolizisten das Haus von Tong Shijun und holten ihn aus einer Vorlesung in der Universität, nachdem man ihn im Krankenhaus nicht angetroffen hatte. In Kunming waren die Demonstrationen der Studenten maßvoll verlaufen und ihre Anführer schon am 5. Juni verhaftet worden; zwei von ihnen waren auf der Flucht und wurden in ganz Yunnan gesucht.
    Tong Shijun war vor Entsetzen zu keinen Gedanken mehr fähig, als der Kommissar Zeng Qifeng im Professorenzimmer der Universität in scharfem Ton zu ihm sagte: »Ihr Sohn ist ein Konterrevolutionär und ein Verräter am chinesischen Volk! Er ist geflüchtet. Wenn er nach Kunming kommt, werden wir ihn erschießen. Tong Shijun, was wissen Sie von den Umtrieben Ihres Sohnes?«
    Tong saß erstarrt auf seinem Stuhl und gab keine Antwort – nicht, weil er nicht gewollt hätte, sondern weil sein Kopf plötzlich leer war. Er stierte vor sich hin, und Zeng wußte nicht, ob er überhaupt gehört hatte, was er gefragt worden war. Ein Vater war zusammengebrochen, der ganze Stolz seines Lebens war vernichtet, aber Zeng, der aus einer Arbeiterfamilie stammte, die immer unter den Bevorzugten gelitten hatte, hatte kein Mitleid mit Tong. Der so große Professor war ganz klein geworden.
    »Ich habe eine Frage an Sie gestellt, Genosse!« bohrte sich Zeng in Tong hinein. »Haben Sie keine Ahnung gehabt, daß Ihr Sohn Jian reaktionäre Ideen verbreitete? Hat er nie mit Ihnen darüber gesprochen?«
    Tong blieb stumm, und niemand sah, daß er nach innen weinte.
    Zeng wartete geduldig, doch umspielte ein böses Lächeln seinen Mund. »Man muß ihn anscheinend anders fragen«, sagte er, griff in Tongs weißes Haar, riß ihn zurück und schlug ihm mit der anderen Hand mehrmals ins Gesicht.
    Mit geschlossenen Augen ließ Tong die Mißhandlung über sich ergehen. Er wußte, daß er heute nicht nur für alle Zeiten sein Gesicht verloren hatte, seinen Stolz und seine Ehre, sondern daß er aufgehört hatte zu leben, und wenn auch sein Körper noch umherging, aß und trank, schlief und wachte, so regierte darin doch keine Seele mehr; er war nur noch ein Gefäß, das darauf wartete zu zerbrechen.
    Ein Auto der Geheimpolizei brachte Tong nach Hause. Zwölf Beamte hatten das Haus durchsucht, Meizhu in das Schlafzimmer gesperrt, und als Tong jetzt gebracht wurde, meldete ein junger Funktionär, daß nichts Verdächtiges gefunden worden
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