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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Maschinengewehre senkten sich, und dann entfernte sich das Ungeheuer mit rasselnden Ketten.
    Lida wandte sich um und ging zu dem knienden Jian und dem stöhnenden Holger, und wie Jian auf den Jade-Pavillon blickte, fühlte er sich plötzlich stark, sprang auf, hob Holger auf seine Schulter und rannte mit ihm zum Obelisken zurück. Von Reindl war nichts mehr zu sehen, nur sein Megaphon lag zertrümmert auf dem Pflaster. Am Sockel lehnten einige Verwundete, und einer sagte: »Ich glaube, ich habe gesehen, wie Bai Hongda unter einen Panzer gekommen ist. Man wird ihn nicht wiedererkennen. Die Revolution ist vorbei. Was haben wir erreicht? Die alten Männer haben wieder mal gesiegt. Jetzt wird wieder Kälte über China kommen. Hoffentlich kommt kein Arzt vorbei – ich will sterben.«
    »Kannst du dich auf den Gepäckträger setzen?« fragte Jian Holger und trug ihn zu ihren Rädern.
    »Ich weiß nicht.«
    »Versuch es, Holger.«
    Lida hielt das Fahrrad fest, und Jian stemmte seinen Freund auf den Träger. Dann stieg er in den Sattel und sagte: »Klammere dich fest an mich. Wir schaffen es, wir müssen es schaffen.«
    Lida hatte ihren Jade-Pavillon wieder in die Tasche gelegt und hängte sie sich um den Hals. Sie stieg auf Holgers Rad, und niemand hielt ihren Weg zum Diplomatenviertel auf.
    Sie fuhren durch eine tote Stadt, die gelähmt war vor Entsetzen.
    Aber sie hatten überlebt.
    Die Rache der alten Männer war grausam, aber in ihren Augen gerecht. Die Erneuerung Chinas, die Deng Xiaoping begonnen hatte, die Öffnung nach Westen, die Schritt um Schritt erfolgen sollte und nicht mit so großer Hast, daß man den Überblick verlor, selbst der Plan einer Versöhnung mit Rußland, wo Gorbatschow die den Russen bisher völlig fremde parlamentarische Demokratie einführen wollte – alles war durch den Aufstand der Studenten für China wieder unerreichbar geworden.
    Die Welt sah mit Entsetzen auf das Blutbad vom 4. Juni. Vor der Vollversammlung und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wurde China angeklagt, wirtschaftliche Sanktionen wurden beschlossen, die Drähte der Diplomatie liefen heiß – aber Deng Xiaoping ließ sich nicht beirren. Er begann China erneut zu säubern.
    Die ›Volksbefreiungsarmee‹, die auf dem Tiananmen-Platz die Studenten mit Panzern niedergewalzt hatte, besetzte nun ganz Beijing, kontrollierte die großen Straßenkreuzungen und Plätze, fuhr zum Schutz vor den Parteibauten auf, und die Geheimpolizei schwärmte aus, um die Schuldigen zu verhaften. Auch Deng Xiaoping, der bisher geschwiegen hatte, trat wieder an die Öffentlichkeit und verteidigte das blutige Vorgehen seiner Armee mit den Worten, es sei darum gegangen, konterrevolutionäre Umtriebe krimineller Elemente zu zerschlagen. Chinas Weg in die Zukunft sei in Gefahr gewesen.
    Die Anklage richtete sich auch gegen die Ausländer. Sie hätten die Studenten aufgehetzt, hieß es, den aufständischen Gruppen auch Geld gegeben; das Überschäumen des Radikalismus sei ihr Werk gewesen, Berufsterroristen unter ihnen hätten das Volk aufgehetzt, so wie der deutsche Student Karl Reindl.
    Deng Xiaoping schloß China wieder von der Welt ab. Erinnerungen an die Kulturrevolution Maos wurden wach. Eine gnadenlose Jagd auf die Schuldigen begann, eine Welle von Verhaftungen rollte über das Land, und wieder waren es die Intellektuellen, die Künstler, die Kritiker, die Demokratiebefürworter, die von Polizei, Militär und Geheimpolizei in die Gefängnisse abtransportiert wurden. In Shanghai, Beijing und anderen Großstädten wurden die Studentenführer in Schnellverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vielen gelang die Flucht ins Ausland, aber was in diesen Tagen und Wochen wirklich in China geschah, deckte ein Schweigen zu, das vollkommen war.
    Charly Reindl hatten Soldaten der Armee schon während des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens gefangengenommen. Am 4. Juni gegen Mittag – Wasserwagen der städtischen Reinigung spülten das Blut vom Pflaster des Platzes – wurde er vor ein schnell zusammengetretenes Militärgericht geführt. Er sah schrecklich aus. Gesicht und Körper waren durch blutige Wunden entstellt, man hatte ihn geschlagen und gefoltert. Das erste, was er den Offizieren des Gerichts entgegenschrie, war: »Ich bin Deutscher. Ich verlange, daß meine Botschaft sofort verständigt wird! Ohne einen Vertreter der Botschaft sage ich kein Wort! Ich habe als Ausländer, der ich bin, das Recht.«
    »Sie haben das Recht
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