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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition)
Autoren: Judith Lennox
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und eine lederne Handtasche. Sie frühstückte morgens in einem kleinen Café auf der Piazza del Duomo und kehrte gegen elf zu einem Kaffee dorthin zurück. Manchmal besuchte sie ein Museum, aber immer häufiger wanderte sie einfach ziellos und zufrieden durch die Stadt.  
    Nach einer Woche hörte sie auf, Pläne zu machen. Etwas in ihr hatte sich gelöst, eine Anspannung oder ein innerer Druck, an den sie sich so gewöhnt hatte, dass sie ihn erst richtig bemerkte, als er aufhörte. Die Wärme der Sonne und die Freundlichkeit der Menschen waren ihr genug. Sie genoss den historischen Reichtum und das Spektakel, die an jeder Ecke warteten, und die vertrauten Bilder, die sie daran erinnerten, dass ein Teil von ihr in diese Stadt gehörte. Als sie eines Nachmittags auf der Piazza della Signoria saß, fiel ihr ein, dass ihre Eltern sich hier das erste Mal begegnet waren. Ihr Vater hatte, so hatte sie es von ihrer Mutter gehört, an seiner Staffelei gearbeitet, die er im Schatten des Palazzo Vecchio aufgestellt hatte. Er hatte die Standbilder der Loggia dei Lanzi gemalt und ihrer Mutter, die in Begleitung einer Tante durch Italien reiste, angeboten, sie zu porträtieren. Die junge Liebe hatte sich ohne Worte entwickelt, weil bei den Sitzungen stets eine Anstandsdame anwesend gewesen war. Aber Blicke und Gesten hatten als Liebesschwüre genügt, und man hatte sich heimlich verabredet. Nach der Fertigstellung des Porträts waren Gerald und Christina miteinander durchgebrannt. Drei Wochen später hatten sie in der englischen Kirche in Rom geheiratet.  
    Die Sonne schien in ihre Haut hineinzusinken. Freddie konnte stundenlang in dem kleinen Straßencafé sitzen und, abgesehen von gelegentlichen Blicken zum mächtigen bunten Dom, die Menschen beobachten. Manchmal lag sie den ganzen Tag im verdorrten Gras der Boboli-Gärten und las. Oder sie setzte sich auf eine Bank und betrachtete den Okeanos-Brunnen. Sie fuhr mit dem Bus nach Fiesole und entdeckte, dass jemand die Villa Millefiore gekauft hatte. Die ehemals bröckelnde Fassade war renoviert, und neben der Villa schaufelte ein Arbeiter Sand in einen Zementmischer. Sie erinnerte sich, wie viel Angst ihr und Tessa die nächtlichen Geräusche und Schatten der Villa gemacht hatten, als sie damals bei Mrs. Hamilton eingezogen waren. Sie erinnerte sich, wie die weichen, spitzenähnlichen Wasserlinsen ihre Beine berührt hatten, wenn sie im Becken geschwommen war. Sie hatte sich so frei gefühlt.  
    Eines Morgens, drei Wochen nach ihrer Ankunft in Florenz, erwachte sie mit Kopfschmerzen. Als sie die Vorhänge aufzog, sah sie dichte eisengraue Wolken, die schwer und metallisch auf die heiße, stickige Stadt drückten. An Frühstück mochte sie gar nicht denken; ihre Ziellosigkeit hatte plötzlich etwas Niederdrückendes. Sie fühlte sich von der Stadt und ihrem pulsierenden Leben abgeschnitten. Diese Stadt hatte auch ihre finsteren Seiten, die Bettler, die mit ausgestreckten Händen in den Tornischen hockten, zeigten es ebenso wie der Fanatismus und die Grausamkeit, die ihre Geschichte verdunkelt hatten.  
    Dann klarte es auf, und die Sonne brannte wieder herunter, als sie die Galleria dell’Accademia betrat. Drinnen drängten sich die Touristen vor den Kunstwerken. Freddie legte den Kopf in den Nacken, um zu den Gemälden hinaufzusehen. Verzerrte Körper an Kreuzen, Blutströme aus dem weißen, wächsernen Körper des Gekreuzigten. Ein Mann rempelte sie an; jäh überfielen sie Schwindel und Übelkeit, und sie lief auf die Straße hinaus.  
    Sie ging weiter zur Piazza San Marco und setzte sich in ein ruhiges Café, wo sie ein Glas Wasser und einen Kaffee trank. Sie wusste, dass nicht Florenz sie im Stich ließ, sondern ihr eigener Mut. Hatte sie vielleicht alles falsch gemacht? Hatte sie vielleicht unter der Nachwirkung von Tessas schrecklichem Unfall beschlossen, in Zukunft jedes Abenteuer zu vermeiden? Was, wenn sie damit auch vor dem Risiko der Liebe geflohen war? Wenn sie nur noch nach Sicherheit gesucht hatte –Sicherheit, die sich am Ende als Illusion erwiesen hatte?  
    Sie hatte sich gegen Schönheit gewehrt und gegen Liebe, weil sie deren Macht, zu verändern, gefürchtet hatte – aber wollte sie den Rest ihres Lebens davonlaufen?  
    Trau dich. Setz dich aufs Spiel. Wag ein Abenteuer.  
    Die Kopfschmerzen ließen nach. Sie bezahlte ihren Kaffee und ging über den Platz zum Kloster San Marco. Die hohen Mauern schützten vor der Sonnenglut, und nur wenige Menschen
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