Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
entspannen.« Nayana war lautlos herangeschlichen, wie sie es immer tat. Amba wunderte sich, dass die alte Frau trotz ihrer angeblichen Unbeweglichkeit so leise gehen konnte. Manchmal vermutete sie, dass Nayana noch geschmeidig wie ein junges Mädchen sein konnte und nur dann über ihre alten Knochen stöhnte, wenn es ihr zupasskam. Nayanas genaues Alter kannte nicht einmal Nayana selber, doch sie musste die sechzig lange überschritten haben. Eine Greisin also, nach hiesigen Maßstäben, und so sah sie auch aus. Ihre Haut war runzlig und dunkel wie ein zerknautschter Lederbeutel, ihr Haar weiß. Doch ihr Geist war jung geblieben, wenngleich er auch in jüngeren Jahren nicht sehr beweglich gewesen war – im Gegensatz zu ihrem Körper.
    »Ah, der Regen ist mir in die Glieder gefahren, ich kann mich kaum rühren«, klagte die Alte.
    »Als der Monsun vor drei Jahren nicht pünktlich kam, war es die Trockenheit, die dir die Knochen mürbe gemacht hat«, erwiderte Amba. »Und wenn es nicht zu nass und nicht zu trocken ist, dann ist es der heiße Wind, der deine Körpersäfte aus dem Gleichgewicht bringt, oder die Windstille, die dein Blut zum Kochen bringt. Also sei still, Nayana.«
    »Und dir hat der Regen wohl den Respekt vor dem Alter aus dem Kopf gewaschen.«
    »Verzeih mir, Nayana. Ich sollte meine Launen nicht an dir auslassen. Es sind diese Besuche in der Stadt. Danach fühle ich mich immer so … besudelt.«
    »Ich weiß, Kind. Deshalb habe ich für heute eines deiner Lieblingsgerichte kochen lassen,
sambharachi kodi.
Makarand hat Garnelen bei seinem Freund, dem Fischer, ergattert.«
    Der erste Lichtblick des Tages. Amba liebte dieses Garnelencurry, und da es wegen der stürmischen See schon sehr bald gar keine frischen Meerestiere mehr zu essen gäbe, war sie froh und dankbar über die Findigkeit des Laufburschen. »Wenn er dir mehr als fünf Kupfermünzen dafür abgenommen hat, war es ein gutes Geschäft für ihn.«
    Nayana hob in gespielter Gleichgültigkeit die Schultern. Makarand, dieser Bengel, hatte ihr acht Kupfermünzen abgeknöpft. Zum Glück drang Amba nicht weiter in sie. Über das Budget, das ihr zur Verfügung stand, musste Nayana ihrer Herrin keine Rechenschaft ablegen, jedenfalls nicht, solange sie damit vernünftig wirtschaftete. Aber Makarand würde sie sich noch heute vornehmen, diesen kleinen Dieb!
    Amba wusste, dass Nayana sich hatte hereinlegen lassen. Doch es ärgerte sie nicht. Eigentlich amüsierte sie sich sogar darüber. Sie gestand der Alten jeden Monat eine bescheidene Summe sogenannten Haushaltsgeldes zu, die Nayana allein verwalten und ausgeben durfte. Es gab der alten Frau ein Gefühl von Bedeutung und Macht, das sie sich in all den Jahren treuer Dienste für Amba redlich erworben hatte. Die Ausgaben für größere Anschaffungen, auch von Lebensmitteln, kontrollierte Amba allerdings lieber selbst. Da reichte ihr Vertrauen nicht aus, weder das in die Rechenkünste von Nayana noch in die der Köchin oder der anderen Dienstboten. Und war es nicht auch rührend, dass die Alte ihr eifersüchtig gehütetes Haushaltsgeld für Garnelen ausgab, nur um ihrer Amba eine Freude zu bereiten?
    »Was würde ich bloß ohne dich tun, Nayana?«
    »Und ich ohne dich?«
    Diesen Wortwechsel hatten sie sicher schon Tausende von Malen gehabt. Beide mussten lächeln. Er war wie ein Mantra, Worte, die man, ohne nachzudenken, aufsagen konnte, so dass der Geist leicht wurde.
    Amba schloss die Augen und genoss die Kopfmassage, die Nayana ihr nun angedeihen ließ. Von arthritischen Fingern keine Spur: Fest und gleichzeitig sanft krabbelten die Finger der Alten über ihren Kopf und lösten ein wohliges Erschauern aus. Der Duft von Kokosöl hing in der Luft, und Amba spürte seine angenehm beruhigende Wirkung. Ihre Anspannung ließ allmählich nach. Beinahe wäre sie unter den kundigen Fingern Nayanas eingenickt, als ein Kreischen sie aufschrecken ließ.
    »So, Shalinis Sohn ist also wieder wohlauf.«
    »Ja, das Fieber ist schon gestern gesunken, und heute … du hörst es ja selbst. Beinahe wünschte ich, er wäre noch ein bisschen länger krank gewesen. Der Junge ist eine Plage. Ihr alle verwöhnt ihn viel zu sehr und bestärkt ihn noch in dem Glauben, er könne hier herumtoben, wie es ihm beliebt.«
    »Aber das kann er doch auch, Nayana.« Amba wusste, dass die Alte das Kind am allermeisten verwöhnte. Sie alle waren vernarrt in den Jungen, der ein aufgewecktes und bildhübsches Kerlchen war, doch Nayana
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher